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DER DRACHE AUS DER SCHLUCHT
Damals, als die Erde noch von Drachen bewohnt wurde, damals gab es einmal eine Schlucht, eine tiefe dunkle Schlucht, wo noch kein Mensch einen Fuß hineingesetzt hatte, aus Angst vor dem Ungetüm, das dort lag.
Es war ein Drache, genauer ein Schlangendrache mit blauer schuppiger Haut, hellgelben ledrigen Flügeln, einem spitzen Schwanz, spitzen Zähnen und was am schlimmsten war, mit schrecklichem Mundgeruch. Aber er lag nur da, als wäre es tot. Er war aber nicht tot, er schlief nur, und plötzlich gingen seine dunklen schmalen Augen auf, und er reckte sich. „Rache“, war sein einziger Gedanke. Er wollte Rache nehmen an den Menschen, die ihn angeschossen hatten und ihm den Schatz genommen hatten. Der Drache namens Kalzifer kämpfte sich auf seinen Schwanz, flog aus der Schlucht und suchte Unterschlupf in einer Höhle. Hier dachte er nach, und zwar drei Tage und drei Nächte lang. Dann hatte er eine rettende Idee. Er brauchte eine Waffe, die Waffe seiner Väter. Sein Großvater hatte ihm einmal einen Tipp gegeben: „Lasst mich ein ihr Kinder, ist so kalt der Winter, öffnet mir die schwarzen Türen, lasst mich nicht erfrieren.“
Er war nicht sicher, ob ihm der Spruch wirklich weiterhelfen konnte, aber er wollte es wenigstens probieren. So suchte er ein bisschen Proviant zusammen und flog in das nächste Dorf. Nachdem er dort alle Leute von der Straße vertrieben hatte, machte er sich auf den Weg zu einem großen weißen Haus, dem Waisenhaus. Er schlich durch das Haus, ohne auch nur ein Kind beim Mittagsschlaf zu stören. Er stapfte durch eine offenen Kamin zu, griff spontan hinein und schwarze Tür, steuerte direkt auf den holte ein smaragdgrünes Glöcklein hervor. Er wollte gerade flüchten, als ihm ein kleiner Hosenmatz entgegenkam und laut aufschrie. Der Drache wollte das Kind schon töten, da stutzte er. Das Kind hatte einen Drachenschwanz. Der Drache erschrak so sehr, dass er die Flucht ergriff. Kalzifer zitterte, und die Glocke fiel ihm aus dem Maul. Das Kind fing sie auf und läutete damit. Der Drache wurde schwach und starb, denn seine Waffe wurde gegen ihn eingesetzt. Das kleine Kind war überrascht und zog sich seinen Spielzeugschwanz vom Hintern.
Dabei berührte es noch einmal das Glöckchen, und es kullerten drei Goldkugeln heraus. Sofort wuchsen diese am Boden zu Goldbuchstaben an, und das Kind konnte die Schrift lesen „Der Schatz der Drachenväter“.
Zunächst war es sehr erstaunt, brach dann aber in helles Gelächter aus, sodass alle im Hause wach wurden und angelaufen kamen. Sie staunten nicht schlecht, als sie sahen, dass es einen Drachen erlegt hatte und feierten es daraufhin als Held. Später wurde es König, und das ist es auch heute noch.
Verena
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