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Illustrationen - Freinet-Pädagogik
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von Harald Eichelberger            


Gedanken zur Unterrichts-konzeption bei C. Freinet

Auswertung der
Arbeitsergebnisse in
der Freinet-Pädagogik

Der Jenaplan - eine Pädagogik
für die Schule von morgen

Die Lernpensen im Daltonplan

 

 

 

Der Pädagoge

"Der Pädagoge hatte seine Methode aufs Genaueste ausgearbeitet; er hatte - so sagte er - ganz wissenschaftlich die Treppe gebaut, die zu den verschiedenen Etagen des Wissens führt; mit vielen Versuchen hatte er die Höhe der Stufen ermittelt, um sie der normalen Leistungsfähigkeit kindlicher Beine anzupassen; da und dort hatte er einen Treppenabsatz zum Atemholen eingebaut, und an einem bequemen Geländer konnten die Anfänger sich fest halten.

Und wie er fluchte, dieser Pädagoge! Nicht etwa auf die Treppe, die ja offensichtlich mit Klugheit ersonnen und erbaut worden war, sondern auf die Kinder, die kein Gefühl für seine Fürsorge zu haben schienen.

Er fluchte aus folgendem Grund: Solange er dabei stand, um die methodische Nutzung dieser Treppe zu beobachten, wie Stufe um Stufe emporgeschritten wurde, an den Absätzen ausgeruht und sich an dem Geländer fest gehalten wurde, da lief alles ganz normal ab. Aber kaum war er für einen Augenblick nicht da: Sofort herrschten Chaos und Katastrophe! Nur diejenigen, die von der Schule schon genügend autoritär geprägt waren, stiegen methodisch Stufe für Stufe, sich am Geländer fest haltend, auf dem Absatz verschnaufend, weiter die Treppe hoch - wie Schäferhunde, die ihr Leben lang darauf dressiert wurden, passiv ihrem Herrn zu gehorchen, und die es aufgegeben haben, ihrem Hunderhythmus zu folgen, der durch Dickichte bricht und Pfade überschreitet.

Die Kinderhorde besann sich auf ihre Instinkte und fand ihre Bedürfnisse wieder: Eines bezwang die Treppe genial auf allen Vieren; ein anderes nahm mit Schwung zwei Stufen auf einmal und ließ die Absätze aus; es gab sogar welche, die versuchten, rückwärts die Treppe hinaufzusteigen und die es darin wirklich zu einer gewissen Meisterschaft brachten. Die meisten aber fanden - und das ist ein nicht zu fassendes Paradoxon -, dass die Treppe ihnen zu wenig Abenteuer und Reize bot. Sie rasten um das Haus, kletterten die Regenrinne hoch, stiegen über die Balustraden und erreichten das Dach in einer Rekordzeit, besser und schneller als über die so genannte methodische Treppe; einmal oben angelangt, rutschten sie das Treppengeländer runter ..."

(Freinet, Célestin, pädagogische texte, Hamburg 1980, S. 17.)

     
   

Lernversuche

"Seien wir ehrlich: wenn man es den Pädagogen überlassen würde, den Kindern das Fahrrad fahren beizubringen, gäbe es nicht viele Radfahrer.

Bevor man auf ein Fahrrad steigt, muss man es doch kennen, das ist doch grundlegend, man muss die Teile, aus denen es zusammengesetzt ist, einzeln, von oben nach unten, betrachten und mit Erfolg viele Versuche mit den mechanischen Grundlagen der Übersetzung und mit dem Gleichgewicht absolviert haben.

Danach - aber nur danach! - würde dem Kind erlaubt, auf das Fahrrad zu steigen. ... Aber sicher, erst wenn der Schüler fehlerfrei auf das Fahrrad steigen könnte, dürfte er sich frei dessen Mechanik aussetzen. Glücklicherweise machen die Kinder solchen allzu klugen und allzu methodischen Vorhaben der Pädagogen einen Strich durch die Rechnung. In einer Scheune entdecken sie einen alten Bock ohne Reifen und Bremse, und heimlich lernen sie im Nu aufzusteigen, so wie im Übrigen alle Kinder lernen: ohne irgendwelche Kenntnis von Regeln oder Grundsätzen grapschen sie sich die Maschine, steuern auf den Abhang zu und ... landen im Straßengraben. Hartnäckig fangen sie von vorn an und - in einer Rekordzeit können sie Fahrrad fahren. Übung macht den Rest.

Am Anfang jeder Eroberung steht nicht das abstrakte Wissen - das kommt normalerweise in dem Maße, wie es im Leben gebraucht wird - sondern die Erfahrung, die Übung und die Arbeit."

(Freinet, Célestin, pädagogische texte, S. 21.)

 
     
   

Schule

"Noch vor kurzem rühmte sich die Medizin der methodischen Behandlung, die sie in Kliniken und Krankenhäusern Neugeborenen und Kleinkindern angedeihen ließ: regelmäßiger Tagesablauf, genau bemessene und dosierte Nahrung, vollkommene Keimfreiheit ... Die Kinder entwickelten sich jedoch nicht normal. Etwas schien zu fehlen im medizinischen Zählwerk. Dieses Etwas war die affektive Anwesenheit der Mutter, die Stimme der Welt außerhalb, die ersten Sonnenstrahlen, der Zauber der Tiere und der Blumen.

Die Wissenschaft gab diesem Mangel einen signifikanten Namen: "Hospitalismus".

Die pädagogische Wissenschaft will mit derselben abgemessenen Genauigkeit die intellektuelle Nahrungszufuhr für die Kinder regeln. Sie isoliert sie dazu in einer besonderen Umgebung, der Schule. Ruhe, neutrale Kälte der Lektionen und der Aufgaben, systematische Unterdrückung aller Kontakte mit dem Leben, dem draußen oder dem der Familie, Ruhe, Sauberkeit, Ordnung, Mechanik.

Die Mangelerscheinungen sind nicht zu leugnen: schlecht verdaute Nahrung, Widerwille vor intellektueller Ernährung, der bis zur totalen Verweigerung gehen kann, Verkrüppelung des Individuums, Lebensuntüchtigkeit, Feindseligkeit gegenüber der falschen Kultur der Schule.

Diese Mangelerscheinung nenne ich "Scolatismus". Der Begriff des "Hospitalismus" war seinerzeit eine wissenschaftliche Blasphemie, bevor er als Realität anerkannt wurde. Heute sorgt man sich um wirksame Heilmittel.

Der Begriff des "Scolatismus" wird eine pädagogische Blasphemie sein, die wir dort, wo erzogen wird, einführen, dort, wo wir schon viele andere neue Begriffe eingeführt haben."

(Freinet, Célestin, pädagogische texte, S. 22.)

 
     
   

Der Unterricht

"Die praktische Vernunft von Rabelais, Montaigne, Rousseau, Pestalozzi gelangt langsam wieder zu ihrem Recht. Um sich zu bilden, genügt es nicht, dass das Kind jeden Stoff in sich hineinfrisst, den man ihm mehr oder weniger spannend serviert: es muss selbst handeln, selbst schöpferisch sein. Und es muss vor allem in einer angemessenen Umgebung leben können, es darf nicht in einem unserer modernen "Kerker für die gefangene Jugend" vor sich hin dämmern. Leben, so intensiv wie möglich zu leben, liegt nicht darin letztlich das Ziel all unserer Anstrengungen? Und die Fähigkeit zum Leben so gut wie es nur irgend geht zu entwickeln, sollte das nicht die wesentliche Aufgabe der Schule sein?

Der Begriff "Aktive Schule", den Adolphe Ferrière geprägt hat, befriedigt uns nicht mehr ganz. ... Der Begriff der Aktivität ist eine Vorbedingung unserer Techniken. Aber selbst in seinem weitesten Sinn beinhaltet er noch nicht die grundlegende Veränderung der Schule, die wir meinen. Das Wort Erziehung reicht uns im Übrigen aus. In der traditionellen Schule unterweist der Lehrer die Schüler, manchmal versucht er auch, sie zu erziehen. Wir sagen: Das Kind muss sich selbst erziehen, sich selbst bilden, mit der Hilfe der Erwachsenen. Wir versetzen die Achse der Erziehung: im Zentrum der Schule steht nicht mehr der Lehrer, sondern das Kind. Es geht nicht mehr um die Vorlieben und die Bequemlichkeit des Lehrers: das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse, seine Möglichkeiten sind der Angelpunkt unserer Erziehung für das Volk.

Das soll eine Methode sein? Das ist doch einfach eine ideologische Richtung!"

(Freinet, Célestin, pädagogische texte, 25 f.)

 
   

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000