Emma Hellenstainer
„Frau Emma – Europa“ – diese Postkarte erreichte die Adressatin – so erzählt der Mythos über die berühmteste Wirtin Tirols.
Schon ihre Mutter führte den Grauen Bären in St. Johann in Tirol. Nach früher Arbeit als Kellnerin im elterlichen Betrieb kam Emma zu den Ursulinen nach Innsbruck zur Ausbildung. In Salzburg lernte sie bei den „Drei Alliierten“, damals eine der besten Adressen, das Kochen. Schon zur Lehrzeit verfasste sie ihr erstes Werk: natürlich ein Kochbuch.
Als der Mutter der Bräugasthof in Toblach zufiel, musste ihn die zwanzigjährige Tochter übernehmen. Begleitet wurde sie von ihrer Amme und Ratschlägen wie „lachen darfst du nie“. In Toblach wurden ihre exzellenten Kochkünste kaum richtig anerkannt: die TirolerInnen waren Mus, Knödel, Krapfen und Kraut gewohnt. Trotzdem fehlten die Gäste nie, und der heruntergekommene Betrieb erholte sich bald. Ein Besucher kam besonders oft: der Niederdorfer Postmeistersohn Joseph Hellenstainer. Als er ihr schließlich ein paar Ohrringe aus dem Ampezzaner Tal mitbrachte, vergaß Emma die mütterlichen Ermahnungen …
1842 wurde die Hochzeit in St. Johann gefeiert und kurz darauf übernahmen beide das Erbe Josephs, das Wirtshaus Zum Schwarzen Adler am Hauptplatz in Niederdorf. Joseph kümmerte sich um sein Fuhrunternehmen, Emma übernahm die Führung des Gasthauses samt Personal, Garten, Keller, Landwirtschaft. Mit ihrer konservativen Schwiegermutter, der alten Postwirtin, hatte sie deswegen zu kämpfen. Zwischen 1844 und 1856 gebar sie vier Töchter und zwei Söhne.
Niederdorf erlebte in dieser Zeit eine wirtschaftliche Blüte. 1833 war die „Strada d’Alemagna“ durch das Höhlensteintal zwischen Conegliano und Toblach gebaut worden – fürs Pustertal die wichtigste Verbindung zwischen Kärnten, der Steiermark, Wien und Tirol.
Auch Emma Hellenstainer war weltoffen: sie passte Service und Ausstattung des Gasthauses den modernen Erfordernissen an und verfeinerte die bodenständige Tiroler Kost. Ihre humorvolle, liebenswürdige und offene Wesensart zog viele Gäste an: „…der wollte die Suppe dick, der andere leer, dieser das Fleisch fett, jener wieder mager, schärfer das Essen der eine, milder der andere: um alles war sie besorgt, und jeder fühlte sich wie daheim.“ Aus dieser Zeit sind viele Geschichten von unglücklichen und magenkranken Gästen überliefert, die der Aufenthalt im Schwarzadler gesund und vor allem glücklich machte. Sie kehrten jährlich wieder und betrieben intensive Mundpropaganda für die junge Wirtin. „Heimat“, „Heilung“ und sogar „Erlösung“ kehren in den Gästebüchern des Schwarzadlers immer wieder. Der Ruhm des Hauses mehrte sich. „Das europäische Land, wo man am schlechtesten kocht, ist aber nächst der Türkei jedenfalls Tirol“, so beschreibt der Reiseschriftsteller Gustaf Rasch die Tiroler Küche. Ausnahmen seien drei Gasthöfe, wie sonnige, grüne Oasen in dieser Wüste der Kochkunst: das Gasthaus zum Elephanten in Brixen, das Gasthaus der Frau Emma in Niederdorf und das Gasthaus Rizzis zu Vigo im Fassatal.
1858 starb Joseph Hellenstainer erst 50-jährig an einem Nierenversagen. Emma übernahm nun auch das Fuhrunternehmen mit Kutschern und Fuhrknechten für 20 Pferde und den Umbau des Gasthofes.
Im Schwarzadler verkehrte der Wiener Hochadel, die Infantin Isabella von Bourbon-Parma, die Braut Josephs II, Kaiser Franz Joseph I, Kaiserin Sisi, Thronfolger Franz Ferdinand, Graf Esterhazy von Ungarn. Die Gäste kamen aus aller Welt: EngländerInnen blieben den ganzen Sommer, um im Gebirge zu kraxeln, ItalienerInnen, um Kühlung und Erfrischung zu finden, ÖsterreicherInnen und Deutsche wegen der schönen Gegend und der guten Küche. Alle kamen auch besonders wegen Frau Emma.
Neben dem Gastgewerbe war ihr die Erziehung der Kinder sehr wichtig. Großen Wert legte sie auf frühen Kontakt zu anderen Kulturen und das zeitige Erlernen möglichst vieler Sprachen.
Sie selbst bildete viele junge Köchinnen aus. Ihre Teebutter brachte ihr 1884 bei der Wiener Kochausstellung die Silbermedaille ein und fand den Weg in die Wiener Hofküche. Die Vermarktung einiger ihrer Produkte entwickelte sich zu einem kleinen Versand. Das Fuhrunternehmen hatte zusätzliche Vorteile: „exotische Waren“ wie Oliven und Pomeranzen, Melonen, Feigen, Zitronen und Parmesan konnte sie einigermaßen kostengünstig und frisch einkaufen.
Alle Neuerungen wie Eisenbahn, Elektrizität und Straßenbau wurden für den eigenen Betrieb und die ganze Gegend wirtschaftlich genutzt. Dank der Überzeugungskraft und der Kontakte der Frau Emma gelang es z. B., die Eisenbahn möglichst nahe am Dorf vorbeizuführen.
Die am 23.04.1817 geborene Emma Hellenstainer war das erste weibliche Mitglied im deutschen Alpenverein und maßgebliche Mitbegründerin des österreichischen. Sie stattete den ersten Pustertaler Bergführer noch ganz persönlich mit der Kleidung ihres Mannes aus und gründete den Dorf-Verschönerungsverein. 1899 verlieh Kaiser Franz Josef I. der „weltbekannten Frau Emma“ das goldene Verdienstkreuz. Auch ihre Kinder blieben im Gastgewerbe: Sohn Eduard erbaute das Hotel Praxer Wildsee. Sohn Hermann eröffnete 1907 in Meran das Hotel Emma. Auch das Hotel Stadt München und die Post in Neuspondinig gehörten zum Familienbesitz. Die Töchter Emma, Marie, Josefine und Aloisia hingegen – Tochter Leopoldine starb als Kleinkind – „wurden verheiratet“ in namhafte Südtiroler Gastronomie-Betriebe. Renommierte Häuser wurden und werden teilweise immer noch von ihren Nachkommen geführt, wie das Hotel Pragser Wildsee, Hotel Elephant in Brixen, Hotel Greif in Bozen.
Ihren Lebensabend verbrachte Frau Emma am Pragser Wildsee (im Sommer) und in Meran (im Winter), wo sie mit 87 Jahren am 9. März 1904 starb.
Für Frauen mit Mann und Kindern gab es damals kaum außerhäusliche Berufsmöglichkeiten. Die Rollenverteilung im Schwarzadler war traditionell: Die Frau kümmerte sich um das Innen: Kinder, DienstbotInnen, Gäste, Küche und Atmosphäre, der Mann um das Außen, um Geschäfte und Kontakte. Ihre „weiblich-mütterlichen Qualitäten“ setzte Frau Emma professionell und gewinnbringend ein. Als junge Witwe übernahm sie dann auch die Aufgaben des männlichen Parts.
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