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    Integrationsklasse mit hörgeschädigten und hörenden Kindern   zum anfang zurückblättern umblättern ans ende
    von Ingrid Heger
   

 

Genauere Informationen bei:
Prof. Ingrid Heger,
der Pädagogischen Akademie des Bundes Wien Ettenreichgasse 45b
1100 Wien
 

Die Integration gehörloser Kinder begann in den 60er Jahren mit zwei Formen dislozierter Klassen:

  • Lautsprachenausbildung im gebärdenfreien Raum und daraus entwickelten sich
  • kooperative Klassen, in denen zu verschiedenen Anlässen und in einigen Gegenständen kooperiert wurde.

Beide Formen liefen 1983 aus.
Nun sollten wieder der Gehörlosenkultur als eigenständige Form mehrere Optionen zur Sozialisierung ermöglicht werden. Eine davon ist die Integration mit hörenden Kindern, die ab dem Schuljahr 1997/ 98 an der ÜVS mit Prof. Ingrid Heger und Prof. Eugen Frank (Prof. am Bundesinstitut für Gehörlosenbildung) im Team und unter der wissenschaftlichen Betreuung von Prof. Karl Rieder geführt wird.

Aus dem Kindergarten des Bundesinstitutes für Gehörlosenbildung wurden vier Kinder aus einem lautsprachlich orientierten hörenden Umfeld ausgewählt, die eine Förderung hörgerichteten Spracherwerbs erfuhren und für die Integration in einer Regelschule geeignet erschienen. Ein Kind war aus einer rein lautsprachlichen Gruppe und die drei anderen waren in einer Integrationsgruppe mit Hörenden (zwei Kinder haben ein Cochlea Implantat).

Bereits im Jahr vor dem Schuleintritt hatte der Gehörlosenlehrer (Prof. Eugen Frank) die Möglichkeit, die Kinder kennenzulernen und mit ihnen einmal wöchentlich in Kontaktstunden lautsprachlich zu arbeiten. Die Eltern der vier Kinder informierten sich eingehend über Möglichkeiten der zukünftigen Beschulung ihrer Kinder. Direktor Koskarti, der Leiter des Institutes für Gehörlosenbildung, fand eine Möglichkeit, die Kinder in der ÜVS Ettenreichgasse zu integrieren.

Verstärkt wurde auch die Motivation für diesen Pilotversuch der Integration in eine Regelklasse durch die Unterrichtsarbeit in reformpädagogischer Hinsicht (Modellklasse - Jenaplan). Im Semester (Sommersemester 1997) wurden die Kinder an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (Abteilung Musikpädagogik - Studienrichtung Musik und Bewegungserziehung - rhythmisch musikalische Erziehung) betreut. Die rhythmisch-musikalische Arbeit findet in der Integrationsklasse unter Prof. Ruth Klicpera ihre Fortsetzung.

Der gemeinsame Unterricht trägt deutlich erkennbar dazu bei, insbesondere die sozialen Lebensbedingungen in unserer Gemeinschaft zu verbessern. Damit wird auch ein wichtiger Beitrag zur Annahme und zum Umgang mit Minderheiten und zur Toleranzerziehung geleistet. Soziales Lernen ist eine unabdingbare Grundlage für unsere Integration.
Vom Anfang an stimmten wir einhellig überein, dass die schwerhörenden Schüler im Schulbetrieb keine Sonderstellung einnehmen dürfen. Jeder einzelne Schüler der Klasse sollte individuell gefördert werden, jeder, auch ein normalhörendes Kind, hat spezielle Bedürfnisse. Die dem Jenaplan zugrunde liegende Methode, den eigenen Lernfortschritt individuell zu bestimmen, erwies sich für alle Kinder als wertvoll und förderlich. Die Methode der Partner-, Team- oder Freiarbeit gibt genug Freiraum, einzelne Schüler nach einem selbstartikulierten Bedürfnis zu unterstützen.
So bietet unsere Arbeit nach dem Jenaplan die besten Voraussetzungen für den integrativen Unterricht.

Kennzeichen dafür sind:

  • Entdeckendes und handelndes Lernen,
  • Weltorientierung - weniger am Lehrplan kleben, lieber viele Bezüge zum aktuellen Leben einbauen,
  • Binnendifferenzierung - jede/r, leistet, was er/sie kann; alle werden individuell gefordert und gefördert,
  • soziale Integration,
  • ganzheitliche Bildung - Kinder werden in allen Dimensionen ihrer Persönlichkeit gefördert, darunter auch im Erlernen und Erleben lebenspraktischer Kompetenz, in der Pflege der Gefühle, in körperlicher Ertüchtigung, auf musisch-ästhetischem Gebiet (vermehrtes Angebot von Rhythmik) und
  • die alternative Leistungsbeurteilung, die einerseits monatlich in Form eines Briefes mitgeteilt, mit dem Kind persönlich besprochen und beraten wird und in eine Direkte Kommentierte Leistungsbeurteilung (Kind - Eltern - Lehrer) mündet.

Den vier Bildungsgrundformen des Jenaplans (Gespräch, Arbeit, Spiel, Feier) wird somit in ausreichendem Maß Rechnung getragen.
Im Gesprächskreis wird für die gehörlosen Kinder simultan vom Teamlehrer wiederholt und zusätzlich mit einem Mikroport gearbeitet. Somit hat auch diese Technik rasch Eingang gefunden und für die Kinder ist es teils eine aufregende und doch wiederum eine alltägliche Sache. Die Gesprächsdisziplin der Hörenden wird dadurch sehr gefordert und gefördert. Die Rücksichtnahme und das Eingehen aufeinander ist beispielgebend.

Die Zusammenarbeit mit unserer Partnerklasse klappt hervorragend. Die "Kleinen" werden nach einem Tutorensystem betreut und beim gemeinsamen Arbeiten und Spiel eröffnen sich ganz neue soziale Dimensionen.

Die Feiern, sehr oft auch in der "Großgruppe", sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Unterrichtes. So ist der Unterricht immer spannend, aufregend und ungemein bereichernd. Jeder unserer zahlreichen Besucher (mindestens einmal pro Woche, aus dem In- und Ausland) ist begeistert von der "Arbeitswut" der Kinder und vor allem deren Selbständigkeit. Unsere Besucher erkennen erst nach einiger Zeit unsere hörbehinderten Kinder, denn im Gesprächskreis, der einen beträchtlichen Teil unseres Vormittags in Anspruch nimmt, ist ihre Mitarbeit nicht von der der Hörenden zu unterscheiden.

Die Aussprache der hörbehinderten Kinder hat sich verbessert und dies wird uns auch von den Ärzten und Logopäden bestätigt. Es ist für uns außerordentlich erfreulich, diese Fortschritte zu beobachten. Jedes Semester werden die Kinder von der Psychologin des Gehörloseninstitutes Irmgard Gelter getestet, und auch sie bestätigt uns die optimale Förderung der hörgeschädigten Kinder. Für uns Lehrer/Lehrerinnen ist diese Rückmeldung von sehr großer Bedeutung.

Auf der Grundstufe II nützen die Kinder ihren Freiraum noch intensiver, um ihren eigenen Lernfortschritt individuell zu bestimmen und ihrem selbstartikulierten Bedürfnis nachzukommen, denn jeder Einzelne hat seine speziellen Bedürfnisse. Der Druck, nicht einem fiktiven Klassenniveau zu entsprechen, erübrigt sich. Wichtig ist, die eigenen Möglichkeiten maximal zu entwickeln. Jedes Kind erhält seine ihm entsprechende Förderung (von der Begabtenförderung bis zur intensiven Unterstützung bei Lernbehinderungen, bzw. bei unserer speziellen Förderung unserer hör- und sprachbehinderten Kinder). Die schwerhörenden Schüler/Schülerinnen verfügen mittlerweile über ausreichende Sprachkompetenz, um dem Unterrichtsgeschehen in der Integrationsklasse folgen zu können. Die Artikulation ist ausreichend, um sich mit ihren normalhörenden Klassenkollegen zu verständigen. Im Unterrichtsgeschehen werden Kommunikation und Verhaltensregeln trainiert, die das Gespräch ermöglichen, fördern und erleichtern. Alle Beteiligten sollen Integration wollen und Inklusion leben. Sie sollen durch gegenseitige Akzeptanz bereit sein, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Die normalhörenden Schüler/Schülerinnen lernen automatisch klar und deutlich zu sprechen und zu formulieren.

Annäherung an den Volksschullehrplan

Bisher wurden die Schüler/Schülerinnen in den Fächern Deutsch und Mathematik (Textaufgaben) weitgehend nach dem Lehrplan der Volksschule für Gehörlose beurteilt. Sollte das Sprachverständnis weiter wachsen wie bisher, ist es das Ziel, die Schüler an den Volksschullehrplan zu nähern. Deshalb wird es auch wie bisher notwendig sein, die Schüler/Schülerinnen einzeln zu fördern, wie es aber auch bei jedem anderen Mitschüler in der Form des individuellen Unterrichts immer wieder geschieht.

Verbesserung des Ablese- und Hörvermögens

Zwei unserer schwerhörenden Kinder sind mit einer künstlichen Hörhilfe versorgt. Das Hörvermögen verbessert sich im Laufe der Entwicklung mit diesem Gerät bei vielen Menschen automatisch. Die Schüler/Schülerinnen sind in erster Linie an die Ablesebilder der Eltern und ihrer beiden Teamlehrer gewöhnt. Sie sollen darauf vorbereitet werden, dass viele Menschen, Schüler oder ihre zukünftigen Lehrer auch nach einer Einführung in die Gehörlosenpädagogik, wie es üblicherweise gemacht wird, noch kein rechtes Verständnis für die Bedürfnisse der Schwerhörenden haben. Sie müssen ermutigt werden, bei Unklarheiten ständig nachzufragen und ihre zukünftigen Bezugspersonen dadurch zu schulen und das Problem der verminderten Spracherkennung bewusst werden zu lassen.

Verbesserung der Artikulation

Die Schülerinnen besitzen in der Zwischenzeit alle für unser Deutsch notwendigen Vokale und Konsonanten. Die für den Hörer und unser Verständnis so wichtigen Konsonanten werden bei den Kinder leider oft verschluckt. Es wird unsere Aufgabe und die Aufgabe der Eltern sein, die Kinder zu motivieren, sich anzustrengen, eine bessere Sprechweise anzunehmen.


© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000