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Streiflichter aus der Hirnforschung   zum anfang zurückblättern umblättern ans ende eine ebene nach oben
 

Das Gehirn ist ein operational geschlossenes und selbstreferentielles System, welches aber mit der "Außenwelt" gekoppelt ist.
Es hat gestaltende Kraft!








Gedächtnisinhalte sind in
dispositionellen neuronalen Mustern abgelegt
.

Die Wirklichkeit unseres Erlebens ist keine passive Rezeption: Das Gehirn hat gestaltende Kraft. Unser Wissen ist also nicht eindeutig durch die von außen kommenden Signale/Reize determiniert, sondern "durch das Vorwissen, den semantischen Kontext, in dem sie empfangen werden" (Roth,1998, S 107).
"... Hypothesen, die unser Wahrnehmen und damit unser Denken bestimmen, bestehen in jedem Augenblick. ... Solche Vorurteile gehören so zu uns wie das Atmen, wir müssen permanent mit ihnen leben" (Pöppel,1993, S 176).

Aus Signalen/Reizen, die Informationen übertragen, wird individuelles Wissen; es ist in dispositionellen neuronalen Mustern "gespeichert" (sie werden auch Gedächtnisinhalte genannt) (Braitenberg,1990, S 84). Die neuronalen Netzwerke umfassen dabei Hunderte von Millionen von Nervenverbindungen, die sich immer auf (sehr viele) unterschiedliche Hirnbereiche verteilen.

     
   

Positronen-Emissions-Tomografien; (PET)-Diagramme
     
Topologien der Außenwelt bleiben im Gehirn erhalten
  "Das Verblüffende bei der Fortleitung von der Peripherie der Informationsaufnahme ins Zentrum weiterer Verarbeitung und Bewertung ist (aber z.B.), dass die topologischen Beziehungen von vorgefundenen Objekten in der Welt in der neuronalen Repräsentation im Gehirn ... erhalten bleiben" (Pöppel, 1993, S 173).
     

Die Grundfunktionen des Gehirns sind vererbt, aber die volle Funktionsfähigkeit erhält das Gehirn durch Signale aus der Umwelt

 

"Der Cortex gleicht ... einem Netzwerk von diffusen, durch Aktivität veränderlichen Verbindungen. Nur die Grundzüge der Verschaltung sind bei der Geburt vorgegeben. ... "Art und Umfang frühkindlicher Erfahrung bestimmen (dabei) die spätere Leistungsfähigkeit des Zentralnervensystems: Signale aus der Umwelt optimieren offenbar die zunächst relativ ungenaue Verschaltung der Nervenzellen" [Singer, 1990, S 50]. Seine volle Funktionsfähigkeit erhält er in der Auseinandersetzung mit der Umwelt: durch Koppeln gleichzeitig aktiver Zellen zu Ensembles, durch Stärken oder Schwächen der Verbindungen an plastischen Synapsen" (Braitenberg, 1990, S 194).

     

Kognitionen sind nicht ohne Emotionen möglich.


Bild: Angst essen Seele auf!

 

Neuere wissenschaftliche Studien lassen darauf schließen, dass bei Lernprozessen, Denkprozessen, Verstehensprozessen, Wahrnehmungsprozessen, Erfahrungsprozessen, Mitfühlprozessen oder Verständigungsprozessen, die allesamt Aufmerksamkeit verlangen und ein Arbeitsgedächtnis fordern, nicht nur Bereiche der Großhirnrinde (Neocortex), sondern immer auch die präfontalen Hirnlappen sowie das limbische System beteiligt sind.
"Die emotionalen Zentren (u.a. im limbischen System) sind aus ... dem Hirnstamm hervorgegangen. Es hat Jahrmillionen gedauert, bis aus diesen emotionalen Bereichen das hervorging, was sich schließlich zum denkenden Gehirn entwickelte ...". "Die letzten zehntausend Jahre, ... haben in den biologischen Grundformen unseres Gefühlslebens kaum eine Spur hinterlassen." (Goleman, 1997, S 21 und 27)
Wenn wir Signale/Reize über die Sinnesorgane aufnehmen, dann wird die im Gehirn entstehende neuronale Erregung nicht nur kognitiv interpretiert, sondern immer auch gleichzeitig emotional bewertet.
Es wird versucht, die Begriffe Signale (Nachrichtentechnik) oder Reize (Biologie, Psychologie) und Information (Kognitionswissenschaften, Informatik) sowie Wissen (Wissenspsychologie, Erziehungswissenschaften) auseinander zu halten. Signale oder Reize tragen neben einer Vorkommens-Wahrscheinlichkeit sonst keine weitere Bedeutung. Der Begriff Information impliziert immer auch eine Bedeutung. Von Wissen wird als Ergebnis des Lernens = Denkens = Erkennens gesprochen.
"Kognitionen sind nicht ohne Emotionen möglich" (Roth,1998, S 211f). Und ein "Mangel an Gefühlen kann eine genauso wichtige Ursache für irrationales Verhalten sein" (Damasio,1995, S. 87) "Die allgemeine Funktion des limbischen Systems besteht in der Bewertung dessen, was das Gehirn tut. Dies geschieht einerseits nach den Grundkriterien "Lust" und "Unlust" und nach Kriterien, die davon abgeleitet sind. Das Resultat dieser Bewertung wird (als neuronales Netzwerk) im Gedächtnissystem festgehalten" (Roth,1998, S 209). Es bildet das erfahrungs- und wahrnehmungsbezogene, nicht ererbte Wissen.

 
Die neueronale Verschaltungsgrundlage

 

Im Gehirn gibt es schätzungsweise eine Billionen Nervenzellen (1000.000.000.000). Jede Nervenzelle hat Kontakt mit vielen anderen Nervenzellen; man vermutet:

  • dass 1000 Nervenzellen von einer Nervenzelle beeinflusst werden (Prinzip der Divergenz) und
  • dass jede einzelne Nervenzelle von 1000 Nervenzellen beeinflusst wird (Prinzip der Konvergenz).

Die Kontaktaufnahme zwischen den Nervenzellen kann erregend (Prinzip der Exitation) oder hemmend (Prinzip der Inhibition) sein. Für die Erregung und Hemmung sind jeweils unterschiedliche chemische Botenstoffe (sogenannte Transmitter) verantwortlich.
Für jede einzelne Nervenzelle berechnen sich daher 2 hoch 1000 (weit nach unten abgeschätzt 10 hoch 250) mögliche Funktionszustände. Diese Zahl ist unvorstellbar groß, bei der jede Veranschaulichung scheitert. 10 hoch 250 ist eine Zehnerpotenz mit mit 250 Nullen!
Jedem einzelnen Sinnesorgan sind eigene Hirn-Bereiche zugeordnet: einerseits für Aufmerksamkeit andererseits ein Arbeitsgedächtnis.

     
Atemporale Systemzustände und Zeitfenster im Gehirn
  Für individuelle Wissens-Konstruktionen sind im Gehirn noch weitere Funktionen notwendig: einmal bedarf es einer Aktivation (Energie) und zum anderen einer zeitlichen Koordination der räumlich verteilten Aktivitäten. Im Gehirn gibt es ein Programm, dass einen Takt vorgibt: Neuronenpopulationen schwingen oszillatorisch mit der Periode von 3/100 Sekunden. Innerhalb dieser Schwingung kann im Gehirn eine Information von irgendeinem Punkt zu irgendeinem anderen gelangen, ohne dass irgendeine "Veränderung" an ihr auftritt. Das Gehirn schafft sich auf diese Weise atemporale Systemzustände.
Neben diesem Programm gibt es ein weiteres, durch das isolierte neuronale Ereignisse bis zu 3 Sekunden Dauer automatisch und unverhinderbar zu einem Kontinuum aneinandergekettet werden. Kontinuität kommt durch inhaltliche (semantische) Verknüpfung aller derjenigen diskreten mentalen Zustände zustande, die jeweils in einem etwa 3 Sekunden dauernden Zeitfenster repräsentiert werden (Roth, 1998, S 182 - 185).
     
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© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2002