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Für
unsere Arbeit sind folgende Erkenntnisse von Bedeutung |
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1.
Wenn wir denken und handeln, orientieren wir uns nicht an Regeln.

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Regelhaftes
Sprachverhalten und andere komplexe Denk- und Produktionsprozesse sind möglich
ohne explizite interne Repräsentation von Regeln, nach denen sie ablaufen.
Der große Irrtum des konservativen Grammatikunterrichts (Chomsky: generative
Transformationsgrammatik; Oberflächen-, Tiefenstrukturen) bestand darin
anzunehmen, Sprache lasse sich erlernen, wenn man nur genügend gut mit den
Regeln dieser Sprache vertraut sei. Sprache lernt man durch Sprechen, Zuhören
und Lesen, nicht durch Regeln. Dasselbe gilt für die Mathematik. Entscheidend
bleibt immer das Tun, weshalb es unerlässlich ist, in der Schule genügend
Möglichkeiten für eben dieses Tun zu bieten. Ein Merkmal guten Unterrichts
ist es, dass die Schulstunde für Tun und Denken genutzt wird. Aus dieser
Sicht heraus rechtfertigt sich auch das Disziplinieren. Denn ohne Disziplin
finden keine Denkprozesse statt. Eine Heuristik des Problemlösens kann nur
aus der eigenen Aktivität, dem eigenen Erleben heraus entwickelt werden.
Das bedeutet, dass regelhaftes Verhalten sich durch vielfältiges und wiederholtes
Tun bildet - nicht das Tun wird durch von außen implantierte Regeln gelernt!
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2.
Alle geistigen Prozesse sind in hohem Maße beweglich und kaum kontrollierbar.
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Alle
geistigen Prozesse sind nicht statisch und regelhaft. Ihre hervorstechenden
Merkmale sind Dynamik, Prozesshaftigkeit und hohe Störanfälligkeit. Da sie
also hochkomplex sind, nützt es nichts zu sagen: Reiß dich zusammen, dann
wird es schon gehen. Wir müssen zu akzeptieren lernen, dass nicht alles
bzw. fast nichts auf Befehl abläuft, es braucht eben unterschiedlich viel
Zeit. Abbildungen wie die Vase, in der man auch ein zwei Gesichter sehen
kann, oder auch 3-D-Bilder zeigen, was mit Dynamik und Prozesshaftigkeit
gemeint ist. Nicht nur was unsere Sinneszellen reizt, auch unser Vorwissen
spielt bei der Verarbeitung eine Rolle. Störungen müssen nicht so gravierend
sein; Signale, die vom Gehirn / den Neuronen ausgehen, können einlaufende
Signale befördern oder bremsen, und zwar bis zum "Nullpunkt". Adrenaline
blockieren die Transmitterflüssigkeit zwischen den Synapsen: Es kommt zu
einer Blockade. Daraus folgt: Kästchen und Schubladendenken können wir
vergessen. Denkvorgänge lassen sich nicht kontrollieren. Wichtig ist es,
die Produktion von Stresshormonen zu vermeiden und sich der Tatsache bewusst
sein, dass die Ausgangslage der Individuen für die Informationsaufnahme
eine ganz große Rolle spielt und dass Vorausinformationen eine entscheidende
Bedeutung haben. |
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3.
Der Aufbau unseres Gehirns ist nicht genetisch festgelegt.

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Die
Verbindungen zwischen allen unseren Neuronen (ca. 20 Milliarden Nervenzellen,
von denen jede mit bis zu 10.000 anderen verbunden ist), kann unmöglich
genetisch festgelegt sein. Die in unserer gesamten Erbmasse gespeicherten
Informationen würden dazu nie ausreichen. Die Aussage bezieht sich auf den
Kortex, der weitgehend für Denkprozesse verantwortlich ist. Die Frage nach
der absoluten, genetischen Disposition geistiger Fähigkeiten ist damit
beantwortet. Sicher wird nicht die "Verdrahtung" vererbt, wohl eher Dinge
wie Störungen gravierender Art (Epilepsie, Down-Syndrom, Stoffwechselstörungen)
und im Wechselspiel mit der Umwelt Dinge wie Vorlieben, Arbeitsformen. Das
bedeutet: Lernende dürfen nicht aufgrund ihrer Herkunft festgenagelt werden.
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4.
Wir lernen, indem wir die Verbindungen unter den Neuronen aufbauen und
verändern. Wir lernen nicht Einzelheiten, sondern Strukturen.
Wir lernen am Anfang rasch, später zunehmend langsamer. "Spiel ist die
unmittelbare Konsequenz von Lernfähigkeit".

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Gelernt
wird, indem Input - Output - Beziehungen immer wieder durchgespielt werden.
So verändern sich die Verbindungen der Neuronen untereinander nach und nach,
bis das richtige Verhalten mit immer größerer Wahrscheinlichkeit realisiert
wird. Dabei werden nicht Einzelheiten gelernt, sondern allgemeine Strukturen
des Inputs. Diese Prozesse laufen am Anfang relativ rasch, später zunehmend
langsamer ab. Das hat seinen Grund: So werden einmal aufgebaute Strukturen,
an denen sich weiters Denken orientiert, nicht so rasch wieder verändert,
dass eine Art Orientierungslosigkeit eintritt. Wenn wir also mit zunehmendem
Alter langsamer lernen, so bedeutet dies einen Schutz für uns, schließlich
werden durch das Lernen bestehende Strukturen verändert oder gar abgebaut,
auf jeden Fall in Frage gestellt. Und das kann unter Umständen lebensbedrohlich
sein. Im Spiel können Kinder in einem sanktionsfreien Raum Erfahrungen verarbeiten.
Der Spracherwerb z. B erfolgt über die Erprobung von Äußerungen im Alltag.
Das Sprichwort "was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" meint vermutlich
nur diesen eng begrenzten und sinnvollen Ausschnitt. Lernen ist also viel
mehr eine Art "Probehandeln" und "Versuchsdenken", das laufend auf seine
Viabilität hin überprüft wird: Kommst du so zum Ziel? Hilft dir das? Wichtig
ist die Auseinandersetzung mit einer Sache. Die richtigen Ergebnisse sind
sekundär. |
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5.
Das Gehirn speichert rationell.
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Informationen
aller Art werden in unserem Gedächtnis in einer Art Vektorräumen repräsentiert.
Jede Farbe mit den Stufen 0 - 255 ergibt insgesamt 2 hoch 24 Farben. Es
sind aber nur drei kleine Areale im Gehirn dafür vorhanden, die je nach
Erregung ihren Beitrag beisteuern und nicht 2 hoch 24 Zellen. So ist auch
die Verbreitung von Informationen im Gehirn auf Sparsamkeit hin angelegt.
Dies bedeutet: Vernetztes Denken, d.h. gegenseitige Beziehungen, Abhängigkeiten
auch bei der Aufnahme von Informationen müssen berücksichtigt werden;
es dürfen keine isolierten Speicherleistungen verlangt werden, wo dies nicht
notwendig ist. Synergieeffekte müssen genutzt werden. |
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6.
Unser Gehirn ist in hohem Maße plastisch.
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Die
Größe der kortikalen Verarbeitungsareale wird durch den Input bestimmt.
Man muss sich das als sich "selbstorganisierende Eigenschaftskarten" vorstellen.
Das heißt auch: Unser Gehirn ist plastisch, d.h. es passt sich veränderten
Gegebenheiten an, indem neue Verknüpfungen von Neuronen und Neuronenverbänden
("Karten") gebildet werden. Dies wurde zweifelsfrei nachgewiesen durch
Untersuchungen an Patienten mit künstlichen Innenohren, an erblindeten
Menschen, die eine Blindenschrift lernen mussten, und an Menschen mit amputierten
Gliedern. Es gibt stichhaltige Hinweise dafür, dass dieser Umstand nicht
nur für sensorische, sondern auch für "höhere" Kortexareale gilt. Diese
Plastizität lässt sich unter anderem auch durch die Vermeidung von Eintönigkeit
erhalten und fördern. Entsprechende Eindrücke, Erfahrungen vergrößern auch
die für Aktivitäten in diesem Bereich zur Verfügung stehenden Hirnareale.
Daher: Gut angelegte, wirksame Lernprozesse und Lernumgebungen, die solche
auslösen, haben eine "potenzierende" Wirkung: Sie verändern Gehirnareale
(wenn man einmal etwas kann, dann geht plötzlich alles viel leichter). Das
ist die Erklärung für Lernplateaus. Es muss uns also darum gehen, Eintönigkeit
im Unterricht zu vermeiden. Dabei "bestimmen" die Lernenden, d.h. man liest
an ihnen ab, wann Eintönigkeit auftritt. Das heißt nicht, dass nicht auch
geübt werden darf, aber nicht als Schikane oder Beschäftigungstherapie.
Auch wenn jemand nicht begreift, Mühe hat, Zeit - viel Zeit - braucht, ist
er noch kein hoffnungsloser Fall. |
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7.
Unser Gehirn beschäftigt sich vorwiegend mit sich selbst.
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Das
Gehirn beschäftigt sich vorwiegend mit sich selbst. Über 99 % aller Neuronen
der Großhirnrinde erhalten ihren Input von anderen Neuronen der Großhirnrinde
und stimulieren wieder solche. Das heißt konkret: Unser Großhirn ist in
erster Linie mit seiner Selbstorganisation beschäftigt. Wer die Begriffe
"Assimilation", "Akkomodation" und "Äqulibration" aus dem Kognitivismus
(Piaget) kennt, erkennt, welchen Raum die letzten beiden einnehmen. Dies
alles stützt die konstruktivistische Sicht des Lernprozesses: Lehrer und
Lernende sind Systeme, die praktisch unabhängig voneinander funktionieren.
Im normalen "Lehrbetrieb" prasselt viel zu viel auf die Lernenden nieder,
Lernende müssen sich deshalb permanent gegen die Überflutung wehren, wenn
sie etwas Vernünftiges mit neuen Inhalten anfangen wollen. Oder sie werden
mit wenig anregenden Inhalten eingedeckt, die in ihnen nichts auslösen.
Deshalb ist es von größter Wichtigkeit auf die Qualität der Lernaufgaben
und Arrangements zu achten. Wichtig ist, dass wir spüren, wann die Selbstorganisation
einsetzt (Fragen, Einwände, Probleme, Kritik…) und dann diesem Prozess
den notwendigen Rahmen geben. |
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8.
Wir lernen nicht nur in einer Richtung (z.B. vom Konkreten zum Abstrakten).
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Die
Verarbeitung von Informationen läuft immer bottom - up und top - down. Es
wird also nicht von konkret zu abstrakt "gedacht", sondern immer auch umgekehrt.
Es lassen sich auch in unserem Großhirn unterschiedliche Areale der Verarbeitung
von Informationen hinsichtlich der Abstraktion unterscheiden. Denken und
Lernen sind mehr als sprunghafte Prozesse und nicht als stetig "aufwärts"
fortschreitende zu betrachten. Piagets Entwicklungsstufen und Bruners Vorstellungsstufen
sind vor diesem Hintergrund mindestens neu zu interpretieren. |
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9.
Es gibt einen großen Unterschied beim Lernen von Tatsachen und Fähigkeiten.

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Der
Hippocampus lernt schneller als der Kortex und ist sein Trainer, wenn es
darum geht, Tatsachen zu lernen. Beim Erlernen von Fähigkeiten braucht es
vor allem den Kortex, deshalb müssen wir dafür auch mehr Zeit aufwenden.
Bei Fähigkeiten müssen wir das Üben selbst besorgen, bei den Tatsachen übernimmt
dies der Hippocampus. Dieser arbeitet auch im Schlaf weiter ("Lernen im
Schlaf"). Deshalb ist für junge Lernende, die eindeutig mehr Tatsachen
lernen müssen, der Schlaf so wichtig. Das gilt aber nicht für komplexe Zusammenhänge.
Dies bedeutet: Beim Faktenlernen dürfen wir auf die Unterstützung durch
die Natur zählen, wenn die äußeren Umstände stimmen. Es gibt ein komplexes
Zusammenspiel zwischen Fakten und höheren Denkprozessen (es braucht beides).
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