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Die Anhänger
der Synthetischen Methode stellten fest, dass unsere Schrift keine Bilder-
sondern eine Lautschrift ist und die Ganzheitsmethode
zu einer falschen Lesehaltung erziehe und damit für die Legasthenie
verantwortlich zeichne. Diese lesemethodischen Differenzen fanden ihren
Höhepunkt in den 50er und 60er Jahren und mündeten im Schlagwort
der "Methoden-Integration".
Neueste
Erkenntnisse
zeigen, dass sich der Leseprozess aus verschiedenen Teilleistungen zusammensetzt,
von denen jede innerhalb der Schreib-Lese-Methode Beachtung finden müsste:
- Projektion
der Schrift auf die Netzhaut
- wobei das Auge in ruckartigen Sprüngen kleine Textausschnitte
fixiert. Dabei wird die Schrift nur in Phasen der Fixierung und nicht
während der Sprünge wahrgenommen.
- Transport
der Schrift von der Netzhaut ins Hirn
- wobei es zu einer Punkt für Punkt Abbildung des Sinnesreizes
kommt.
- Verarbeitung
der Schrift in der Sehrinde
- wobei in der primären Sehrinde unterschiedliche Sinneszellen
auf unterschiedliche Reize ansprechen (hell, dunkel, Linien, Punkte,
Linien in bestimmter Raumlage und Stärke...). Die erste visuelle
Verarbeitungseinheit des Gehirns sind weder Buchstaben noch Worte oder
gar sinnvolle Aussagen, sondern graphische Formelemente.
- In der sekundären
Sehrinde reagieren einzelne Nervenzellen nur, wenn auf der ersten
Ebene bestimmte Zellen gleichzeitig aktiv werden (z.B. Gerade und zwei
Bogen ergeben die Aktivierung des auf B - ähnliche Formen spezialisierten
Neurons).
- In der nächsten
Ebene, dem tertiären Rindenfeld oder
Assoziationsfeld, sind Hör- und Sehrinde eng miteinander
verschaltet. Hier werden Buchstaben zu der im Wort vorgesehenen Folge
verknüpft. Auf der Assoziationsebene muss sich der Einfluss der
Sprachzentren verstärken, da die Schrift im Gehirn nicht rein synthetisch
verarbeitet wird. Die Mehrdeutigkeit mancher Schriftzeichen zum Beispiel
macht Entscheidungen auf der Bedeutungsebene notwendig. So wirken beim
Erfassen von Schrift "graphische Formen `von unten' und Sinnerwartung/Sinndeutung
`von oben' im Wechsel aufeinander ein" (vgl. BRÜGELMANN 1983).
Schon bei der Fixation eines einzelnen Wortes kann sich Spracherfahrung
und Sinnerwartung auf den Lesevorgang auswirken.
Versuche von KLEIMANN
(1977) zeigen genauer, welcher Art dieser sogenannte Kontext-Effekt ist.
Mit Lückentexten wurde dargestellt, dass
"...der
Satzanfang eine wortübergreifende Sinnerwartung und nicht nur
einen spezifischen Begriff aktiviert. ...Der Satzanfang aktiviert
also nicht nur eine inhaltsbezogene Sinnerwartung an den Textfortgang,
sondern im `Lexikon' des Lesers den gesamten `Begriffshof' des erwarteten
`Füllwortes' " (vgl. BRÜGELMANN 1983). |
Dies macht die
Wichtigkeit des individuellen Wortschatzes für den Leseakt
deutlich. Der Satzanfang aktiviert auch persönliche Erfahrungen mit
ähnlichen Handlungsabläufen.
Die
Sprache der Kinder ist nicht eine Kindersprache, sondern individuell
verschieden.
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Seine eigene Sprache
findet das Kind nur in Texten, die es allein oder gemeinsam mit anderen
verfasst hat. Das Lesen fremder Texte stellt weit höhere Ansprüche.
GÜMBEL
(1973) legte den Kindern zwei Lesetexte vor. Davon war einer im "Sprechstil"
und einer im "Schreibstil" (mehr Substantive, weniger Verben,
entfalteter, situationsunabhängiger Satzbau usw.) geschrieben.
Für das Lesen des "Schriftsprach-Textes" brauchten
die Kinder eineinhalbmal so lang und machten mehr als doppelt so viele
Fehler. |
Dies zeigt, dass selbstverfasste
Lesetexte aus dem Sprachgebrauch der Kinder leichter zu bewältigen
und daher dem Leseprozess dienlicher sind.
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