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Verbalzeugnisse: empirische Untersuchungen

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Berichtszeugnis /
Verbalbeurteilung /
Lern(Entwicklungs)bericht)

Eltern und Leistungsbeurteilung

Zeugnistypen bei der
Verbalbeurteilung
(Benner/Ramseger)

 

 

 

Es gibt erstaunlich wenig Evaluationsstudien zum Verbalzeugnis, trotz des Interesses und der hohen Erwartungen, welche diese Zeugnisreform in Deutschland ausgelöst hat. Für Schmidt haben sich die hohen Erwartungen, die mit der Reform verknüpft waren, nicht erfüllt, und er meint, dass bei einer Veränderung der Bewertungspraxis das Hauptgewicht auf intensive Elterngespräche gelegt werden sollte.

Scherer u.a. (1985) kommen in ihrer repräsentativen Untersuchung von Lernberichten zu dem ernüchternden Schluss:

"Das wichtigste Ziel der Reform, die individuelle, an der Entwicklung des einzelnen Schülers orientierte Beschreibung und Beurteilung seines Sozial- und Arbeitsverhaltens findet sich in den untersuchten Zeugnissen kaum verwirklicht. Nicht die Persönlichkeit des Schülers, sondern die des Lehrers bestimmt die Auswahl und die Kombination der Inhaltskategorien, die angesprochen werden"
(Schmidt u.a., 1985, nach: Jürgens, 1999).

Schmidt (1981) kommt aufgrund seiner Daten zum Schluss, dass"das Zeugnisschreiben für die meisten Lehrer eine mühsame und schwierige Pflichtaufgabe ist, der man sich notgedrungen und ein bisschen mürrisch unterzieht, die aber keine Freude macht." Dies gilt insbesondere für die Verfassung von Lernberichten. Viele Lehrer hatten erhebliche Vorbehalte gegenüber der Verbalzensur, und etwa zwei Drittel wünschten eine teilweise Rückkehr zum Notenzeugnis. Schmidt führt das hauptsächlich auf die großen Unsicherheiten beim Schreiben der Zeugnisse zurück. Er schlussfolgert:

     
   
"Eine Reform (der Zeugnisform) hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn bei den Reformträgern eine innere Betroffenheit gegeben ist und somit eine Einstellungsänderung vorausgeht, die sich in Übereinstimmung mit den Reformzielen befindet. (Dabei sind) intensive und qualifizierte Vorbereitungen vor allem in Form von Fortbildungsmaßnahmen erforderlich"
(zitiert nach: Jürgens, 1999, S. 44).

Ein weiteres Problem besteht nach der Untersuchung von Schmidt u.a. darin, dass "der überwiegende Teil der Zeugnistexte sich nahezu genau mit den offiziellen Formulierungshilfen im Beispielkatalog deckt... Wenn offenbar LehrerInnen, wenn sie Berichtszeugnisse schreiben, dazu neigen, ... sich auf eine mehr oder weniger große Anzahl standardisierter ... Inhaltskategorien zu beschränken ..., dann ist das ein fragwürdiges ... Vorgehen. (Jürgens, 1999, S. 46)

Elbing/Buschmann (1985) stellen in ihrer Untersuchung fest, dass zwar bei der Hälfte aller Zeugnisse Lernschwierigkeiten ausdrücklich angesprochen wurden, dass aber als Ursache dafür häufig allein das Kind genannt wurde. Sie kommen aber zu einem positiven Fazit, was den Einfluss der Einführung von Verbalzeugnissen auf den Lehrer betrifft:

"Wortzeugnisse halten ... den Lehrer dazu an, sich auf seine pädagogische Aufgabe - als vielseitige und individualisierende Förderung aller Schüler - zu besinnen" (S. 34).

Und Jürgens kommentiert:

" Schon allein die Pflicht, schriftlich ein Verhalten in Form eines Berichts beurteilen zu sollen, führt dazu, sich genauere und weitgefasstere Gedanken zu einem Kind zu machen"
(Jürgens, 1999, S. 48).
 
     
   

Auch in ihrer Untersuchung stellt Ulbricht (1993) fest, dass Störungen im Lern- und Arbeitsverhalten einseitig dem Schüler angelastet werden. In den von ihr analysierten Zeugnissen waren Aussagen zum Leistungsstand eindeutig dominant: "Damit ist auch dem Verbalzeugnis die Funktion geblieben, primär über die erzielten Leistungen zu informieren und ev. die Grundlage für administrative Entscheidungen zu liefern" (S. 200). Weiterhin bemängelt sie, dass Hinweise zum Weiterlernen und zur individuellen Förderung in den Zeugnissen fehlen. Sie schlussfolgert: "Die Verbalbeurteilung per se bedeutet keine Garantie für eine kindgemäße (Grund-)Schule" (S. 212).

In Haenischs Untersuchung (1996) weisen die LehrerInnen auf die Formulierungsprobleme hin, die sich beim Zeugnisschreiben ergeben und die darin bestehen, Wiederholungen und floskelhafte Ausdrücke möglichst zu vermeiden. Auch beklagen viele den erheblichen Zeitaufwand für das Schreiben der Berichte und plädieren deshalb dafür, die Halbjahreszeugnisse durch Elterngespräche zu ersetzen. Dagegen heben sie aber auch positiv hervor, dass sich die SchülerInnen durch die Lernberichte verstärkt mit ihrer individuellen Lernentwicklung beschäftigen und stärker in die Verantwortung für ihr Lernen einbezogen werden können. Das führt auch dazu, dass sie ihre Kenntnisse und Kompetenzen realistischer einschätzen lernen, dass sie stärker um der Sache willen lernen und dass sie mehr Toleranz und Anerkennung für die je individuellen Leistungen der anderen Kinder entwickeln. Was die Mehrbelastung durch das Zeugnisschreiben betrifft, so wird sie letztlich von den meisten als lohnend empfunden, weil sie durch diese Art der Schülerbeurteilung einen deutlichen Kompetenzzuwachs erleben und zum Teil ein "neues Unterrichtsverständnis" entwickeln. Auch heben manche die Belebung des pädagogischen Gesprächs und der Zusammenarbeit mit den KollegInnen hervor.

 
     
   

Im Anschluss an den Schulversuch zeichnet Haenisch ein überwiegend positives Bild: Durch den Schulversuch wurden "eingefahrene und blockierte didaktische Denkmuster aufgebrochen", und auch die sozialen Beziehungsformen verbesserten sich. "Auf dieser Basis entwickeln sich offensichtlich dann neue Qualitäten des Lernens der SchülerInnen, der Gestaltung des Unterrichts und schließlich der Entwicklung der einzelnen Schule... Die Verbalzeugnisse führten dazu, dass die LehrerInnen ihren Unterricht stärker von den SchülerInnen aus denken" (S. 16).

So zeigt sich, dass

"eine Änderung der Beurteilungsform Einfluss auf das gesamte schulische Feld und auf das Verhalten der davon Betroffenen nehmen kann. Verzicht auf Zensuren zu Gunsten von Textzeugnissen ist eben mehr als der bloße Wechsel eines Verfahrens... Mit der Änderung der Beurteilungsform müsste eine Änderung des Unterrichts und der persönlichen Einstellung ... wenn nicht sofort so doch allmählich stattfinden"
(Jürgens, 1999,, S. 52).

Schaub (1993) beschreibt die Wechselwirkung zwischen Bewertung und Unterricht aus der Gegenperspektive:

"Je stärker die Lehrerin Schülerzentrierung zu einem zentralen didaktischen Prinzip macht, umso zwingender wird für sie ein Wechsel von der Notengebung zur zensurenfreien Beurteilung" (zitiert nach Jürgens, 1999, S. 52).

Dass sich die Einstellung der LehrerInnen zum Verbalzeugnis verändern kann, hat Jürgens in einer eigenen Untersuchung (1997) für Nordrhein-Westfalen gezeigt. Gegenüber früheren Untersuchungen lag die Zahl der LehrerInnen, die mit der Einführung von Verbalzeugnissen zufrieden waren, sehr viel höher (94 % !). 43 % sprachen sich für eine Ausweitung der Reform auf die dritte Klasse und 10 % sogar für eine zensurenfreie Sekundarstufe I aus.

 
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