Memorat - Fabulat, Fachbezeichnung der   Erzählforschung für die (ungenauen) Bezeichnungen "Sage" und "Märchen" der   Alltags-Sprache. 
                                               
                                              Beide Formen der mündlichen Erzählung gehören zusammen   mit ähnlichen Formen, wie "Legende" "Parabel", "Schwank" oder "Fabel", zu den so   genannten "Einfachen Formen", d.h. sie verfügen nicht über das komplexe,   vielfach geschichtete und künstlerisch ausgefeilte Bauprinzip literarischer   Texte, sondern bestehen aus kurzen, meist einmotivigen Elementen, die allerdings   recht umfangreich ausgeschmückt werden können, wenn ein geschickter Erzähler am   Werk ist. 
											   Alle "Einfachen Formen" bestehen lediglich aus Strukturzusammenhängen,   nicht aus fertig ausformulierten Texten: das ist immer erst das Werk eines   Sammlers und Forschers. Eine lebendige Erzählgemeinschaft mischt die   verschiedenen Formen auch unbekümmert durcheinander: die überlieferten Inhalte   sind sowieso allen vertraut, es geht hauptsächlich um den Spaß des   Geschichten-Erzählens. 
                                                 
                                              Die beiden wichtigsten Formen, das Märchen und die   Sage, "erzählen" im Grunde das Gleiche: in beiden Varianten passieren so   ziemlich alle Katastrophen, die sich der menschliche Erfindungsgeist nur   vorstellen kann. Vor allem wird die Ur-Erfahrung zelebriert, mit der wir   Menschenkinder das verbotene Kosten vom Baum der Erkenntnis bezahlen müssen: das   Wissen um den eigenen Tod.  
											  Die Sage bietet diesen Stoff in Form eines   authentischen Berichtes, als gelebte (und als wahr beteuerte) Erinnerung: daher   die Bezeichnung "Memorat".  
											  Das Märchen erfindet hingegen unermüdlich neue   Kombinationen, wie die verfahrene Geschichte doch noch zu einem guten Ende   kommen könnte: daher der Name "Fabulat". 
                                                 
                                                Die heute vollständigste   Bestandaufnahme zum Thema ist die Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur   historischen und vergleichenden Erzählforschung, hrsg. von Kurt Ranke et al., De   Gruyter, Berlin-New York, 1975 ff. (bisher 13 Bände erschienen).  
                                                 
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