Lebens- und
Arbeitsgemeinschaft
Autonomes
Lernen
Stammgruppe
Feier
Spiel
Arbeit
Gespräch
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Gruppen
ohne innere (interne) Konflikte gibt es nicht. Denn in jeder Gruppe
entsteht sowohl Ablehnung wie auch Anziehungskraft. Einige übernehmen
das gemeinsame Ziel, Ideal ganz und arbeiten es aus, andere nehmen es
mehr oder weniger an, wieder andere beachten es nicht und wollen es auch
nicht kennen. Wie in jedem
lebendigen Organismus gibt es innerhalb der Gruppen ein dauerndes Hin
und Her der Kräfte.
Außerdem
muss jedes Mitglied der Gemeinschaft
in der Gruppe sein sittliches Wertgefühl (seine sittliche Würde)
erwerben und wahren können, was auch beinhaltet, dass von ihm immer vollständige
und freiwillige Einsatzbereitschaft erwartet werden. Diese natürliche
Verschiedenartigkeit verlangt nach gemeinsamen (allgemeinen) Regeln
des Miteinanderlebens, um den Erhalt der Gemeinschaft abzusichern. Das
Gruppengesetz
ist sozusagen die amtliche Bestätigung (für die) der Freiheit und (die)
der Verschiedenartigkeit.
Eines Tages
habe ich eine Klasse besucht, in der eine sehr gefährliche Auffassung
vom Gruppengesetz herrschte oder sogar wütete. Die Lehrerin hatte
Disziplinprobleme mit ihrer Jahrgangsklasse und hatte vage vom Gruppengesetz
in Jenaplan-Schulen gehört. So hatte sie eine sehr strenge Klassenordnung
erfunden, die ihrer Meinung nach von der Gruppe angewendet wurde.
Sehr schnell hatten die "Bosse" die Führung übernommen und bei den
andern die Anwendung des Gesetzes durchgesetzt. Bald schon herrschte
ein abscheuliches Klima in der Klasse, und das Gesetz verwandelte
sich in ein Instrument, um miteinander abzurechnen. Disziplinlosigkeit
und Auflehnung wurden stets größer, und die Unterdrückung durch
die Anführer wuchs ständig und nahm immer grausamere Züge an. Terror
und Faschismus hatten Einzug in diese Klasse gehalten. An die Diktatur
der Lehrperson schloss sich eine viel schädlichere an, nämlich die
Diktatur der Lehrperson mit Hilfe einiger Kinder.
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Das Gruppengesetz
besteht auch nicht in der Organisation von Kinderparlamenten oder
-gerichten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Formen des Parlamentarismus
und der Demokratie für Kinder in der Schule keinen Sinn ergeben.
Kodifiziertes Recht hat für sie keinerlei Bedeutung.
Wenn
das Recht also nicht durch die Versammlungen von Volksvertretern wie im
Spiegelbild der menschlichen Gesellschaft geschaffen wird, so doch durch
die Lehrpersonen und die Kinder, die in einer authentischen Schulgemeinschaft
leben.
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Von Anfang
an wird der Raum den Kindern in völliger Freiheit anvertraut.
Es handelt sich jedoch um eine illusorische (Illusion von) Freiheit, wenn
man darunter eine willkürliche Nutzung des Raumes versteht. Die Bewegungs-
und Wortfreiheit finden ihre Grenze im Gruppengesetz, das seinerseits
aus einem gemeinsamen Willen entstanden ist (als Äußerung eines gemeinsamen
Willens).
In der
Erlaubnis, den "Schulraum'' frei in Besitz zu nehmen ... unter gewissen
Bedingungen, findet dieses Gesetz seine Rechtfertigung. Ursprünglich erwächst
die Notwendigkeit des Gruppengesetzes (zu einem Gruppengesetz) also aus
der Bewegungsfreiheit im Klassen- und im Schulraum.
Das Gruppengesetz
erlaubt und fördert
- das Miteinanderleben
(und Miteinander-Erleben),
- die schulische
Arbeit im Rahmen von Recht und guten Sitten;
- es garantiert gleiche
Rechte und Pflichten für alle;
- es berücksichtigt
die Zwänge, die von den verfügbaren Räumlichkeiten auferlegt
werden, und die Begrenztheit des didaktischen Materials, das den Kindern
zur Verfügung steht (nicht alle Kinder können z.B. über ein- und denselben
Arbeitsraum, ein- und dasselbe Buch, Mikroskop oder Atelier, Computer
verfügen).
Den Kindern
steht es also frei, innerhalb der festgelegten Regeln ihre eigenen Entschlüsse
zu treffen und auszufahren. Es gibt keinen ungesetzlichen (widergesetzlichen)
Zwang. Die Achtung, Einschätzung und auch Änderung des Gesetzes obliegt
allen und bildet ein fortwährendes pädagogisches Ziel (Projekt).
Obwohl das Gesetz ausreichende Beständigkeit (von einer gewissen Beständigkeit
sein sollte) gewähren soll, kann es infolge der Bewertung abgeändert werden.
Die Regeln und die Abänderungen werden veröffentlicht, sind allen seit
Beginn ihres Schullebens bekannt und werden von allen gelebt.
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Kinder
müssen in der Tat am ersten Tag schon an die gute Sitte des Miteinanderlebens
gewöhnt werden.
Soziale Übereinkommensformen wie Empfang und Abschied, Begegnung im Schulraum
... werden wie selbstverständlich eingeübt. Die Beachtung dieser sozialen
Gewohnheiten und Bräuche wird allen abverlangt. Sich ohne Lärm
fortbewegen, leise miteinander reden, die andern bei Begegnungen und gemeinsamer
Arbeit achten, all dies sind z.B. sehr wichtige Verhaltensmuster, die
von Beginn der Schulzeit an erworben werden müssen.
Alle
Kräfte und Werte in den Kindern müssen zum Aufbau dieses Miteinanderlebens
ausgeschöpft werden. In diesem Zusammenhang sollte hervorgehoben und betont
werden, dass die Schulstruktur mit Stammgruppen
eine natürliche Übertragung des Gesetzes erlaubt. Denn die "Neuen"
in einem Zyklus werden auf natürliche Art von den "Älteren" eingeweiht
und eingewiesen. Von diesem Gesichtspunkt her erweist sich die Einteilung
in Zyklen von drei Jahren als vorteilhaft
gegenüber den Zyklen von zwei Jahren. Bei einem Zwei-Jahres-Zyklus wechselt
schließlich die Hälfte der Schüler, und das kann zu einem Verlust des
Gleichgewichtes führen, vor allem wenn die neue Hälfte stärker als die
ältere ist. In einem Drei-Jahres-Zyklus hingegen bleiben zwei Drittel
Bestandteil der Stammgruppe. Dadurch entsteht eine gewisse Kontinuität
im Klima der Lebensgemeinschaft und eine sicherere und wirkungsvollere
Übertragung der gelebten Werte.
Die
Gruppe verändert sich also nie vollständig. Jedes Mal gibt es ein Drittel
neuer Mitglieder. Für die neu Hinzugekommenen bedeutet
die Aufnahme in einen Zyklus eine wirkliche Einführung in das Leben einer
anderen Gruppe; außerdem ist es im Falle der Einschulung ein natürlicher
Wechsel und ein Übergang vom Vorschul- zum Primarschulleben ... und wir
wissen ja, wie harmonisch und auch progressiv dieser Übergang vor allem
für die etwas langsameren und die etwas schwächeren (weniger begabten)
Kinder sein soll.
Ein drei
Jahrgänge umfassender Zyklus hat also einen höheren Erziehungs- und Bildungswert
als ein Zwei-Jahres-Zyklus und umso mehr als eine Jahrgangsklasse. Was
soll man wohl von unserem Schulsystem halten, das auf die Jahrgangsklasse
aufgebaut ist? Die natürliche Übertragung der Verhaltensmuster für Arbeit
und Gesellschaft wird erschwert und schier unmöglich gemacht. Welch ein
Unsinn!
Das
Gruppengesetz wird innerhalb der Stammgruppen vermittelt, verändert und
natürlich gelebt und erlebt.
Der Erwachsene greift nur äußerst selten ein. Wenn er ein schweres
Vergehen feststellt, ruft er zur Ordnung, und zwar auf Grund der von allen
erarbeiteten und angenommenen Regeln. Die Vergehen werden im Kreis beurteilt
und bei Bedarf streng bestraft. Der kürzere oder längere Ausschluss aus
der Gruppe ist eine harte und strenge Bestrafung
(Strafe, Maßnahme).
Kurzum,
ein klares, aber flexibles (anpassungsfähiges) Gesetz regelt das Zusammenleben.
Das Recht wird durch die Stammgruppen und die Schulgruppe insgesamt übertragen
und verändert. Kinder und Erwachsene bestimmen gemeinsam diese Veränderungen.
Die Mitbestimmung erstreckt sich auch auf gewisse Entscheidungen in Bezug
auf Lerninhalte und -methoden.
Im Gegensatz
zu einer weit verbreiteten Meinung sowohl in Eltern- wie in Schulkreisen
beinhaltet Reform nicht Disziplin- und Respektlosigkeit, Laxismus (Laschheit)
und Sichgehenlassen. Ganz im Gegenteil, die Reform beruht auf der
Einführung des Gruppengesetzes, einer Rechtsordnung, die das gemeinsame
Schulleben bestimmt. Es handelt sich nicht um eine Schule, die durch Lässigkeit
charakterisiert wird und in der Lehrer Kumpel sind.
Für Peter
Petersen ist Disziplin also ein persönliches und ein gemeinschaftliches
Gefüge. Die gesellschaftliche Stellung eines Schülers wird dadurch tief
gehend verändert. Ein solches Klima in der Schule prägt die menschlichen
Beziehungen, wie Peter Petersen sagt: "Über alles
Äußere hinaus wichtig ist nun, was sich an rein menschlichen Beziehungen
anbahnt, d. h. die Einordnung in die Wertewelt einer Schule, die sich
unter die Idee der Gemeinschaft und der Bruderschaft stellt. Erst damit
öffnet sich der Umkreis sittlicher und persönlicher Erziehung."
(Petersen, Peter, Der Kleine Jenaplan, 60. Auflage, Weinheini 1980, S.
32f.)
Um ein
Beispiel zu geben, beschreibt er fünf Situationen aus der Praxis, aus
denen wirkliche Beziehungen entstehen können:
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