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Das Lehrerurteil

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Tests in der Leistungsbeurteilung

Urteilsfehler begrenzen

Schülerbeobachtung

das pädagogische Tagebuch

 

 

 

Um sich ein Urteil über einen Schüler zu bilden, muss der Lehrer seine Informationen über den Schüler interpretieren. Er tut dies meist auf der Basis einer impliziten Persönlichkeitstheorie, die sowohl durch seine Persönlichkeit als auch durch sein Berufsrolle ("Lehrerbrille") geprägt ist:

"Die implizite Persönlichkeitstheorie wirkt wie eine Brille innerhalb der Wahrnehmung, durch sie wird selegiert und akzentuiert" (Kleber).

Dadurch entstehen notwendigerweise Urteilsfehler:

"Urteile geben nicht die Realität wieder, sondern sie bilden über Schätzvorgänge Realität modellhaft ab" (Kleber),

und Ingenkamp geht sogar soweit zu schlussfolgern, dass manche Lehrerurteil " mehr über die Einstellung des Beurteilers aussagen als über den Schüler" (Ingenkamp).

Auch die Tatsache, dass in vielen Fällen Lehrer sich über die Einschätzung eines Schülers einig sind, heißt damit noch lange nicht, dass diese Einschätzung richtig ist: Das Bild von der "Lehrerbrille" meint ja, dass Lehrer, wie jede Berufsgruppe, "interindividuell übereinstimmende implizite Persönlichkeitskonzepte" (Jürgens) entwickelt haben, und dies im Prozess ihrer beruflichen Sozialisation. Der Blick durch diese "Lehrerbrille" verzerrt die Wahrnehmung der Schüler systematisch, wie dies empirisch immer wieder belegt wurde. Kleber kommt zu dem ernüchternden Schluss: Urteilsfehler sind "das anscheinend notwendige Ergebnis der notwendigen Reduktion und Komprimierung der Beobachtungsinformation für das Verstehen und das komplexe unmittelbare Reagieren auf hochkomplexe interaktionale Phänomene" (wie die Situation Schulklasse).

     
   

Wäre das Lehrerurteil gesellschaftlich ohne Einfluss, so könnte man die notwendigen Urteilsfehler des Lehrers bedauern und danach zur Tagesordnung übergehen. Doch da man bisher "keine praktikable Alternative zum Distributionsmodell "(schulisches) Leistungsprinzip" (Kleber) gefunden hat, spielt die schulische Beurteilung eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Lebenschancen. Deshalb kann es nicht gleichgültig, wie gerecht diese Beurteilung dem Schüler wird.

"Das Dilemma der Distribution von gesellschaftlichen Gratifikationen nach Leistung wirft schwere Schatten auf die schulische Beurteilung und macht es notwendig, das Lehrerurteil immer stärker zu problematisieren"
(E. Kleber, in: Klauer, K. J. (Hg.), S. 591)

und Wege zu suchen, es zu objektivieren und zu verbessern.

Es ist mittlerweile fast schon trivial zu betonen, dass das Lehrerurteil sich als wissenschaftlich wenig aussagekräftig erwiesen hat. In vielen empirischen Untersuchungen wurde immer wieder bestätigt, dass die Schülerbeurteilung, gemessen an den Kriterien, die für psychologische Tests gelten, wissenschaftlich nicht zu halten ist.

Besonders problematisch ist der klasseninterne Bezugsmaßstab: Jeder Lehrer bewertet seine Schüler nach seinem subjektiven Bewertungsschlüssel und in Bezug auf die anderen Schüler der Klasse, ohne das Leistungsniveau seiner Klasse im Vergleich zu dem anderer Klassen hinreichend zu berücksichtigen. Dadurch können flagrante Ungerechtigkeiten entstehen. Wahrscheinlich liegt es hauptsächlich daran, dass Zeugnisse einen so geringen prognostischen Wert haben, der über den Schulerfolg in der eigenen Klassen hinausgeht.

 
     
   

Kleber kommt auf Grund verschiedener empirischer Untersuchungen zur impliziten Persönlichkeitstheorie des Lehrers zu dem erstaunlichen Schluss:

"In dem abgegebenen Urteil (über die Schüler) werden Eigentümlichkeiten der Beurteilerpersönlichkeit stärker abgebildet als die Schülerpersönlichkeit"
(Kleber, op. cit., S. 602).

Mit anderen Worten: "Welche Bewertung ein Schüler erhält, kann stärker davon abhängen, zu welchem Lehrer er zufällig in die Klasse kommt, als von seinen eigenen Voraussetzungen.

Trotz dieser allgemein bekannten Kritik am Lehrerurteil hat sich an dem Vertrauen der Lehrer in ihre Beurteilungskompetenz nicht viel geändert:

"In zwei größeren Lehrerbefragungen ... ergab sich, das Lehrer ihrem Urteil über die kognitive Leistung in hohem Maße vertrauen..., dass 70 % der Lehrer von der Gerechtigkeit der Zensuren überzeugt sind (auch 76 % der Schüler)"
(Ingenkamp, 1989, S. 27).

Die wissenschaftliche Kritik an der Zensurengebung hat demnach ihre eigentlichen Adressaten, die Lehrer, entweder kaum erreicht oder sie nur wenig in ihrer Beurteilerfunktion verunsichert. Sicher lässt sich ihre Einstellung zu der eigenen Beurteilungskompetenz auch zum Teil als Selbstschutz und Selbstrechtfertigung verstehen: Unter dem Zwang, Schüler regelmäßig zu beurteilen, stellen sie sich selbst öffentlich ein gutes Zeugnis für diesen Aspekt ihrer Arbeit aus. Was auch mitspielen mag, ist die Tatsache, dass die Form der Schülerbeurteilung ihnen im Prinzip vorgeschrieben wird, so dass sie keine Wahl haben. Deshalb ist es etwas ungerecht, wenn Ingenkamp meint, dass ein großer Teil der Lehrer

"noch nicht bereit ist, die leicht handhabbare Zensurengebung zugunsten eines arbeitsintensiveren, anspruchsvolleren Diagnoseinstrumentes aufzugeben"
(op. cit. S. 29).
 
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