In den Thesen zur
zukünftigen Bildung und zur Gestaltung von medialen Hilfen möchte ich
deutlich machen und auch zeigen, dass Bildungsserver einen verantworteten
Raum für selbstorganisiertes Lernen schaffen können und auch sollten.
Bildungspolitik und Bildungsinstitutionen müssen dafür die Voraussetzungen
schaffen und Verantwortung für ein Überdenken der Ziele für eine zukünftige
Bildung übernehmen.
1.
"Schule im Bannkreis neuer Medien. Wo bleibt die humanistische Bildung?"
These 1:
Die humanistische Bildungsphilosophie einerseits und fernöstliche wie
materialistische Philosophien andererseits stoßen im "globalen Dorf" aufeinander.
Es gibt nicht mehr nur die eine "humanistische" Wahrheit.
Platon schuf, mit
seiner Verdoppelung der Wirklichkeit in eine reale und eine dahinter liegende
Ideenwelt, in den meisten europäischen Ländern sowie im Christentum die
philosophische Grundlage, auf der auch die humanistische Bildungstradition
gründet. Ganz andere philosophisch-religiöse Grundlegungen, die keine
Verdopplung der Wirklichkeit vornehmen, liefern die meisten östlichen
und materialistisch-orientierten Philosophien. Diese beiden grundlegend
verschiedenen Weltsichten und Wahrheiten stoßen heute in der globalisierten
Welt sowie im Internet immer wieder hart aufeinander.
Auch mit neueren konstruktivistischen
Erkenntnistheorien darf man formulieren, dass jeder Mensch sich seine
eigene Wirklichkeit und Wahrheit konstruiert, die aber intersubjektiv
Gültigkeit erlangen kann und zwar über hinreichend viele Verständigungsprozesse.
"Das erkennende Wesen
verfügt nur dann über Wissen, wenn es dieses über eigene Operationen im
kognitiven Apparat selbst hergestellt hat. Wissen als Resultat eines Erkenntnisprozesses
ist demnach nicht ein Abbilden im Sinne eines Entdeckens der äußeren Wirklichkeit,
sondern eher ein Erfinden von Wirklichkeit", so Ernst von Glasersfeld
(1997) einer der Väter des Konstruktivismus.
Und noch ein Zitat
aus dem quasi-politischen Raum in "Die ZEIT" vom 26.9.2002: "Noch etwas
verbindet die sonst so ungleichen Partner: Amerikaner wie Saudis wachsen
mit der Gewissheit auf, im besten aller Systeme zu leben. Und beide Länder
legen einen missionarischen Eifer an den Tag, den Rest der Welt von ihrer
Lebensweise zu überzeugen. Während die Amerikaner den Kapitalismus angelsächsischer
Prägung in den letzen Winkel der Erde tragen, investieren die Saudis Millionenbeträge,
um andere Muslime mit dem "wahren Islam" zu erleuchten." So Albrecht Metzger
in seinem Beitrag: Das Land der reinen Lehre.
Ich frage mich nach
dieser Eingangsthese natürlich, wie und ob
sich das humanistische Bildungsideal evolvieren kann. An dieser Stelle
dazu in aller Kürze zwei weitere Thesen.
These 2:
Interkulturelle Verständigung ist der notwendige (nicht aber hinreichende)
Lern-Prozess dafür, dass die unterschiedlichen Wahrheiten sich gegenseitig
tolerieren können.
Interkulturelle Verständigung
setzt mündliche und schriftliche, direkte und technisierte sowie verbale
und nonverbale Kommunikation voraus. Kommunikation organisiert zwischen
Menschen eine Verständigung, die mit der Konstruktion von etwa gleichen
Vorstellungen enden kann. Damit wird nicht gesagt, dass die Vorstellung
des Anderen übernommen werden muss. Kommunikation sorgt aber dafür, dass
sie verstanden wird, dass sie also in das eigene, bereits vorhandene Wissensnetz
eingeordnet werden kann.
These 3:
Verantwortung ist ein über-kulturelles Prinzip, das nicht nur partikular
in Wahrheit genommen werden darf. Es muss sowohl in der gesellschaftlichen
und natürlichen als auch in der informatischen Umwelt der Menschen wirksam
werden.
Verantwortung wird
in allen Kulturen wahrgenommen. Überall
spricht man von Verantwortung und von responsibility. Die Wahrnehmung
von Verantwortung bleibt aber partikular in einer Kultur isoliert, wenn
nicht gelernt wird, dass die unterschiedlichen Wahrheiten geistig toleriert
werden müssen. Gesetzt also den Fall, die Menschen wollen miteinander
in Frieden auf der Erde leben - und das ist sicher ein Anliegen der großen
Mehrheit - dann müssen alle Menschen lernen, Verantwortung dafür zu übernehmen,
dass die unterschiedlichen Wahrheiten nicht mit Waffen ein-geschossen
werden.
Nun einige Meta-Anmerkungen
zur Präsentation von Lern- und Arbeitsumgebungen Zunächst werde ich
parallel zu fünf weiteren akzentuierten Thesen zur Schulentwicklung, die
Lern- und Arbeitsumgebung "Schule gestalten" präsentieren.
Auf diese Weise erhält mein Referat zwei Ebenen: eine Sach-Ebene mit Argumentationen
zur Schulentwicklung und eine Ebene medialer Präsentationen.
Diese Parallelführung ist deshalb möglich, weil sich die Lern- und Arbeitsumgebung
SCHULE GESTALTEN mit ihren Inhalten
an Lehrerinnen und Lehrer aller Schulstufen und aller Fächer richtet,
die sich kritisch mit schulischen Problemlagen, ihrem eigenen Unterricht
und mit dem Lernen auseinander setzen wollen, um so u.a. aktiv Prozesse
der Schulentwicklung an ihrer Schule zu fordern und zu fördern.
Im weiteren präsentiere ich die Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren
mit Mathe", mit der ich dann zeigen möchte, wie die zuvor allgemein
beschriebenen pädagogischen Anforderungen an eine "Schule der Zukunft"
im Fach Mathematik eingelöst werden können und sollen. Die präsentierten
Hypermedien liegen alle auf dem Bildungsserver blikk des Landes Südtirol.
2.
Herausforderungen an eine "Zukunft der Bildung"
These 4:
Gesellschaft sowie Technik und Medien befinden sich in einem schnellen
Wandel und stellen für eine "Zukunft der Bildung" Herausforderungen dar.
Provokativ frage ich: Geraten in naher Zukunft nachbiologische Lebewesen
mit Menschen in Konkurrenz oder Kooperation?
Die Informations-
und Kommunikationstechnologien inclusive der Künstlichen Intelligenz sowie
die Gen- und Biotechnologien gehören schon heute zum Alltag mindestens
all der Menschen, die in den sogenannten Industrieländern leben. Diese
Technologien konstituieren eine informationelle Umwelt für die Menschen.
Sie tritt heute gleichgewichtig und gleichmächtig neben eine natürliche
und gesellschaftliche Umwelt des Menschen, wiewohl sich alle drei genannten
Umwelten durchdringen und überschneiden.
Technisch neuronale
Systeme, die nicht mehr programmiert sondern trainiert werden, zusammen
mit den Gen- und Biotechnologien (letztere sind im weitesten Sinne ebenfalls
Informationstechnologien) sowie den Neuen Medien prägen und strukturieren
nachhaltig die Wahrnehmungen, Erfahrungen und Handlungen der Menschen
(und wohl auch die Handlungen nachbiologischer Lebewesen). Sie beeinflussen
sowohl gesellschaftliche Lernprozesse als auch persönliche Lebensgestaltungen
und Wirklichkeits- oder Wissenskonstruktionen.
Werfen wir zum besseren
Verständnis der letzten Aussage einmal einen kurzen Blick auf "Blinde
sehen, Taube hören, Lahme gehen" und "Roboter
und Cyber-Menschen". In dieser Darstellung gewinnen wir einen
Eindruck von dem Stand der Technik und Wissenschaft, der auch mit Visionen
von der Zukunft verknüpft ist.
3.
Überdachte Ziele für eine "Schule der Zukunft"
These 5:
Die Ziele für eine zukünftige Bildung als auch für eine "Schule der Zukunft"
sind zu über-denken, zu erweitern sowie weltweit zu reflektieren. Sie
müssen aus einem Vordenken in die Zukunft heraus begründet werden.
Hierzu drei Anstöße:
(1) Weiterhin sind grundlegende Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen
aufzubauen. (2) Aber auch neue Kompetenzen sind aufzunehmen wie z. B.
Modellierungskompetenzen und erweiterte
Schreib- und Lesekompetenzen. (3) Neben alten sind auch neue Schlüsselqualifikationen,
wie "weltweit kommunizieren, sich verständigen
und kooperieren können" zu vermitteln. Weitere Anstöße können
selbstorganisiert aus dem Medium "Schule gestalten" gewonnen werden.
4.
Qualitativ nachhaltige Lernprozesse
These 6:
Alleine schon die gewaltig zunehmende Komplexität aller humanen Umwelten
zwingt dazu, dass die Qualität des Lernens - auch mittels Neuer Medien
- gesteigert werden muss.
Die Informationsmenge
wächst exponentiell, nicht aber das verfügbare Wissen. Und die Komplexität
aller Sachverhalte, Verhältnisse und Beziehungen nimmt überlinear und
zeit-beschleunigt zu. ...
Globale Wirtschaftsräume
und international angelegte Informations- und Kommunikationsnetze sowie
weltweit die medialen Präsentationen von erheblich unterschiedlichen sozialen,
ökonomischen und ökologischen Lebensbedingungen, verlangen nach einem
kultur-übergreifenden Wertekonsens aber auch nach einem Ausgleich der
existenziell bedrohlichen Unterschiede in den Lebensbedingungen. ...
Wir Menschen produzieren
"Schlüsselprobleme" am laufenden Band. Doch wer, wenn nicht wir Menschen,
soll sie lösen? Und dazu ist eine Qualitätssteigerung des Lernens unabdingbar,
wenn wir nicht auf nachbiologische Lebewesen warten wollen.
These 7:
Eine Qualitätssteigerung und Nachhaltigkeit des Lernens ist möglich, wenn
nicht so sehr das Lehren, sondern - immer wieder und immer mehr - das
selbstorganisierte, konstruktive Lernen der
Menschen in den Mittelpunkt gerückt wird.
Individuelles
Lernen geschieht durch Interpretieren und Bewerten der im zentralen
Nervensystem (ZNS) eingehenden Signale auf der Basis des bereits vorher
Gelernten, also auf der Grundlage derjenigen Wissensnetze, die sowohl
in der Evolution der Art als auch im Leben des lernenden Einzelindividuum
bereits konstruiert worden sind. Interpretieren und Bewerten sind gewissermaßen
ein Sprechen (eine Kommunikation) mit sich selbst, durch das Wissensnetze
konstruiert werden. Wissen ist also immer in individuellen Gehirnen konstituiert
und kontextualisiert. Wissen ist daher also immer nur verteilt (auf viele
Gehirne) vorhanden.
Gesellschaftliches
Lernen zwischen einzelnen Personen (Individuen) geschieht durch kommunikative
Kopplungen: Direkte Kopplungen in "face to face" Gesprächen oder indirekte
Kopplungen über Wissens-Darstellungen in den Medien.
Kommunizieren also
Schülerinnen und Schüler im Unterricht oder in einer hypermedialen Lern-
und Arbeitsumgebung miteinander ihr jeweils individuelles Wissen, so wird
aus dem individuellen (also aus dem verteilten) Wissen in einem aufwendigen
Prozess der Verständigung intersubjektives Wissen. Wissenschaftliche Ergebnisse
aus der Hirnforschung belegen diese Aussage.
5.
Lernen mit beispielhaften Neuen Medien
These 8: Beispielhafte
Neue Medien koppeln das operational geschlossene und selbstreferenzielle
Gehirn eines Menschen mit dem Medium in der Weise, dass die konstruktiven
Prozesse im Gehirn (wie Denken, Erkennen, Lernen und Verständigen) sowohl
angeleitet als auch unterstützt werden. Und:
Sie realisieren über-dachte Ziele für eine zukünftige Bildung und eine
Schule der Zukunft.
Nach Hartmut von
Hentig (Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben, Beltz 2002) "treibt
der Computer die Schule zu den alten Fehlern zurück und zieht sie ein
weiteres Stück von der pädagogischen Aufgabe fort. Computer gehören für
ihn nicht zu den Basics, so wenig wie das Essen.
Clifford Stoll äußert
sich (LogOut, Fischer, 2001) ketzerisch: "Ein Internetanschluss ist die
beste Garantie, zum Trottel zu werden ... Der Computer hindert Kinder
daran, ihre sozialen Fähigkeiten zu entwickeln. Er lässt sie Erfahrungen
mit der virtuellen Welt machen, bevor sie die reale Welt richtig kennen
gelernt haben. Er fördert die geistige Trägheit und Unselbstständigkeit
und macht aus den Lehrern Anhängsel des Multimedia-Bildschirms".
Joseph Weizenbaum
fordert immer wieder und schon lange, dass die Kinder zunächst richtig
lesen und schreiben lernen sollen, dann habe er auch nichts gegen den
Computer. Aber er sagt auch: "Ich denke wirklich, es wurde mit der Versorgung
der Schulen mit Computern eine Katastrophe eingeleitet. Unter anderem
haben die Schulbehörden und die Politiker nicht die geringste Idee, wie
teuer das alles ist." (learn:line - Gespräch mit Professor Weizenbaum
vom 3. bis 5. Juni 2002)
Es gibt eine Reihe
von guten Gründen, den Computer-Kritikern zuzustimmen. Einmal sind es
z.B. die weit verbreiteten "Drill and Kill" Lernprogramme",
die sich häufig sogar als Expertensysteme ausgeben. Zum anderen sind es
die wirklich allermeisten Entwicklungen unter dem Namen E-Learning im
Internet. Sie bieten in der Regel nichts anderes als das an, was jetzt
schon ohne Medien ungenügend ist, zum Beispiel die "alte Mathematik in
neuen Schläuchen". Hierzu
drei weitere Beispiele:
Dpa: Die nordrhein-westfälische
Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) hat am 4.September den Startschuss
für das bundesweite Polit-projekt "abitur-online.nrw" gegeben.
Der Tippfehler - der sicher nicht gewollt ist, der aber für sich spricht
- veranlasst nachzusehen. Und siehe da, es wird u.a. für motivierte Erwachsene
die alte Drill-Mathematik angeboten.
Dies geschieht übrigens
auch in dem österreichischen Angebot "mathe online". Das Medium sagt von
sich selbst: "mathe online bietet ein überaus reichhaltiges Angebot zum
Selbstlernen für Erwachsene und moderne Konzepte durch multimediale und
interaktive Techniken. mathe online will weniger eine "neue Mathematik",
sondern vielmehr die traditionellen Lernziele des Faches, unterstützt
von neuen Methoden vermitteln."
Ein weiteres Beispiel
ist das neue Lernportal "Learnunited.com" des Medienriesen Holtzbrink.
Schulbetreiber in den USA hofften, dass der Unterricht übers Netz Geld
spart, da keine Gebäude mehr gebraucht werden. (FR vom 27.12.01). Sieht
man sich aber bei "Learnunited.com" um, so findet man mehr von dem immer
schon Gehabten. Und auch der neunköpfige Beirat bringt nicht das versprochene
Niveau.
Nebenbei bemerkt:
In der biologischen Evolution emergieren bei hoher Komplexität in
quälender Langsamkeit neue Qualitäten. Die hohe Komplexität des Internets
wird jedoch keine beispielhaften E-Learning-Materialien emergieren. Noch
ist dazu die zeitaufwändige und kreative Denk- und Gestaltungsarbeit des
Menschen notwendig. Bildungsserver stehen in der Gefahr zu einer reinen
Informationsplattform zu verkommen. Die meisten sind es bereits. Was ist
z.B. von Bildungsservern zu halten, die zum fünften mal Nachrichten anbieten,
die an anderen Orten besser zu finden sind? Oder Bücher und Erlasstexte
zum Herunterladen anbieten? Bildungsserver dieser Art dienen alleine der
Selbstdarstellung oder provokativer formuliert der Selbstbefriedigung.
Die zuvor genannten
Arten von E-Learning Angeboten enthalten zwar auch positiv zu bewertende
Ideen, sie müssen aber deshalb so kritisch betrachtet werden, weil sie
alte Bildungsziele und "mehrfach überlernte Unterrichtsskripte" (Baumert)
sowie nur alte Bildungsinhalte durch Wiederholung verfestigen und damit
wahr machen, dass sich Schulen langsamer entwickeln als Kirchen. Daher
skizziere ich nun die Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe".
Mit der ich am Fallbeispiel Mathematik zeigen möchte, dass es auch anders
geht.
6.
Lernen mit der Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe"
Die allgemein und
fachdidaktische Grundlage für diese Lern- und Arbeitsumgebung fußt auf
Hans Werner Heymann "Mathematik und Allgemeinbildung", Weinheim 1996.
In der Mathematik-Didaktik
sollte es heute nicht mehr um die kontroversen Streitfragen gehen zwischen
Platonisten und Realisten (also der reinen und angewandten Mathematik)
oder zwischen Logizisten und Formalisten auf der einen und den Intuitionisten
auf der anderen Seite. Diese Streitfragen sind heute obsolet geworden.
Alle genannten didaktischen Konzeptionen müssen als Und-Beziehung im Mathematikunterricht
verwirklicht werden. Und: Zusätzlich müssen auch noch die an einer "Schule
der Zukunft" orientierten Zielvorstellungen realisiert werden.
These 9: Befunde
zum Fach Mathematik: Deutsche Schülerinnen und Schüler "hassen" in der
Mehrheit das Fach. Sie sind lediglich relativ geübt im Lösen von Routineaufgaben,
haben jedoch häufig Schwierigkeiten, komplexe mathematische Probleme zu
durchdringen und ihr Wissen flexibel auf neue Situationen anzuwenden.
"Mathematik habe
ich auch nicht gekonnt", sagt der Vater zur Tochter, um sie in ihrem Frust
mit der Mathe zu trösten. "Warum muss ich Bruchterme addieren oder gar
differenzieren können?, so fragen Schülerinnen und Schüler ihren lehrenden
Mathematiker. Zwei Fragen, die ein und dieselbe Problemlage beim Mathe-Lernen
in der Schule signalisieren.
"Die Schwierigkeiten
von Schülerinnen und Schülern", so zu lesen im DFG - Schwerpunktprogramm
"Die Bildungsqualität von Schule", "liegen also genau in den Bereichen,
die im Zuge der fortschreitenden Spezialisierung und einer immer kürzer
werdenden Halbwertszeit des Wissens zunehmend wichtig werden."
Mit der neuen Unterrichtskultur
von Modellieren, Systematisieren und Anwenden in der Lern- und Arbeitsumgebung
soll an der Behebung dieser Schwierigkeiten gearbeitet werden können.
Mehr noch: Es sollen weitere zuvor genannte, zukunftsorientierte Ziele,
etwa: "(weltweit) kommunizieren, sich verständigen und kooperieren lernen",
erreichbar werden.
These 10: "Modellieren
mit Mathe" vertritt einen didaktischen Ansatz, der sich mit realen Problemen
aus neun Wirklichkeitsbereichen an den Interessen der Lernenden orientiert,
die Probleme mathematisch modelliert, das "selbsterfundene" Modell systematisiert
und das formalisierte System wieder anwendet. Mit
"Modellieren mit Mathe" wird außerdem ein selbst organisiertes Lernen
herausgefordert und gefördert.
Diese These möchte
ich an einem Projekt skizzieren, dass etwa 20 -25 Unterrichtstunden umfasst.
Das Projekt kann in den nächsten Wochen auf blikk verfolgt werden.
Stellen Sie sich vor,
sie unterrichten in einer 9. Klasse und sie nutzen zum ersten Mal das
Leitmedium "Modellieren mit Mathe" in ihrem Unterricht. Dann könnte der
Einstieg für die Schülerinnen und Schüler etwa so lauten: Liebe Schülerinnen
und Schüler, wir wollen in den nächsten Wochen den Mathe-Unterricht einmal
anders durchführen und wollen zusammen einen neuen Weg gehen. Stöbert
bitte einmal im Medium in den realen Problemen, die ich euch jetzt zeige:
- Wohlstand für alle
( ../ma0320.htm)
- Handys und Geldsorgen
( ../ma0210.htm)
- Faszinierende Arches,
kunstvolle Bögen, elegante Brücken ( ../ma0410.htm)
- Eskalation von
Gewalt ( ../ma0130.htm)
- Wenn sich Gerüchte
ausbreiten ( ../ma0120.htm)
Entscheidet euch nach
dem Stöbern individuell für ein Problem, das ihr bearbeiten wollt und
das am ehesten euren Interessen entspricht.
Auf dieser Entscheidungsgrundlage
bilden wir dann thematisch orientierte Partner- oder Kleingruppen. Am
Ende eurer arbeitsteiligen Gruppenarbeit soll dann eure mathematisch modellierte
Problemlösung stehen, die wir dann sowohl auf dem Forum der Lern- und
Arbeitsumgebung als auch am Schwarzen Brett in unserem Klassenraum ausstellen
werden.
Zeitgleich mit euch
werden an zehn anderen Orten Schülerinnen und Schüler in derselben Weise
arbeiten. Auch sie werden ihre Arbeitsergebnisse im Medium ausstellen.
Gegenseitig lesen wir dann nach der Ausstellung aller Arbeiten die Lösungsvorschläge
und kommunizieren darüber auf dem Forum. Es kann gut sein, dass die anderen
Kleingruppen, die am selben realen Problem gearbeitet haben, sich anderen
Problem-Fragen zugewandt haben. Dann ergänzen sich die Veröffentlichungen.
Eine kommunikative Verständigung unter den beteiligten Schülerinnen und
Schülern wäre dann ein erster kooperativer Schritt, durch den das Gesamte
zu mehr werden könnte, als die Summe der Teile.
Ihr stellt eure Gruppen-Ergebnisse
aber auch in der Klasse vor. Dann werden wir uns in der Klasse darüber
unterhalten, wir werden die Lösungen miteinander vergleichen und abstrahieren,
was an euren Ergebnissen das Gemeinsame ist und wie man das Gemeinsame
strukturieren, formalisieren und wieder anwenden kann. Wir wollen die
Mathematik als Meta-Wissenschaft entstehen lassen.
Reflexionen
--> Zur Unterrichtskultur
In der Modellierungsphase
wird eine Binnendifferenzierung nach Neigung und Interessen angestrebt.
Die Arbeit in der Kleingruppe wird von der Gruppe selbst bestimmt. Sie
soll eigenständig und selbstverantwortet ablaufen. Die Gruppe entscheidet
auch, welcher Frage sie konkret nachgehen will und auch darüber, wie sie
die Modellierung vornehmen will. Dabei erhält sie Hilfen zur Sache und
zur mathematischen Modellierung durch das Medium ( ../ma0320.htm).
In der Systematisierungsphase
hat zunächst die Lehrperson das Wort und auch die "Fäden in der Hand"!
Das heißt aber nicht, das dies in der ganzen Phase so sein muss. Auch
in dieser Phase gibt es viele Gelegenheiten für ein selbstorganisiertes
und eigenverantwortetes Anwenden. Beispiele dazu:
- Zeitabhängiges
Wachstum ( ../ma1470.htm) und
- Quadratische Abhängigkeiten
( ../ma1450.htm).
--> Zu den
Zielüberlegungen
- Welche Ziele werden
in den beiden Phasen mit Schwerpunkt vorfolgt?
- Was ist in einem
Unterricht zu tun, in dem an den durch die PISA Studien offen gelegten
Defiziten gearbeitet werden soll?
- Welche Ziele sind
im Zuge der fortschreitenden Spezialisierung und der immer kürzer werdenden
Halbwertszeit des Wissens zunehmend wichtig? (u.a.: selbständig und
eigenaktiv arbeiten, sich selbst Hilfen organisieren können, vernünftig
kommunizieren und kooperieren können, ....) ...
--> Zur
Bewertung der Leistung
Sehr wichtig ist es,
dass die im Unterricht verfolgten Ziele den Schülerinnen und Schülern
offen gelegt werden. Es sollte auch gesagt werden, dass genau diese Ziele
überprüft werden und so eine individuelle Leistungsbewertung stattfindet.
Am Ende der Modellierungsphase gibt es keine Klassenarbeit. Bewertet werden
(a) auf der Grundlage eines Beobachtungsbogens die vereinbarten Ziele,
(b) das auf dem Forum ausgestellte Produkt sowie (c) ein zu führendes
Lerntagebuch. Beim Produkt kommt es darauf an, (a) dass die individuell
in der Kleingruppe gewählte Detailfrage zum realen Problem ausgeführt
wird, (b) die grafische und textliche Modellierung sauber ausgeführt sind
und (c) das Modellierungsergebnis interpretiert wird.
--> Zum Werkzeugeinsatz
In der Modellierungsphase
bieten sich die Werkzeuge Excel ( ../ma/1905), Dynasys und GrafStat an,
je nachdem für welche Teilfrage sich die Schülerinnen und Schüler entschieden
haben. Excel (und Dynasys sind) ist sehr gut geeignet, um Fragen von "Was
wäre, wenn ..." nachzugehen.
In der Systematisierungsphase
sollte Derive ( ../ma1950.htm) genutzt werden. Mit Derive sind Parameterdiskussionen
möglich. Mit Derive entsteht eine Grafenschar, die für weitere Anwendungen,
also zum Einüben des Transfer (Flexibilisierung) des Gelernten, sehr wichtig
ist. Um z.B. für einen konkreten Fall eine konkrete Funktion zu finden,
muss man viele Grafenverläufe kennen, um den richtigen Parameteransatz
zu finden.
--> Zum
Recherchieren im Internet gibt es bei allen realen Problemen "kommentierte
Links" ins Internet.
8.
Resümierende Schlusssätze
Bildungsserver sollten
von der Bildungspolitik und den Bildungsinstituten als verantwortete Räume
für selbstorganisiertes Lernen in Unterricht und Zuhause eingerichtet
werden.
Dazu sind (a) an den
Zielen einer "Schule der Zukunft" und (b) an den neuen Lerntheorien orientierte
hypermediale Lern- und Arbeitsumgebungen (mit und mit für alle Fächer
und Klassen) zu gestalten, die regelmäßig betreut und gepflegt werden
(ggf. durch Lehrpersonen on demand). Die Verlage werden dies auf Dauer
nur dann übernehmen, wenn sie damit Geld verdienen können.
Die Bildungspolitik
und die Bildungsinstitutionen sollten für diese Entwicklungen die Voraussetzungen
schaffen, dass nicht nur "alter Wein in neuen Schläuchen" gereicht wird.
Denn für die Gestaltung von beispielhaften Lern- und Arbeitsumgebungen
werden Personen gebraucht, die sowohl allgemein- und fachdidaktisch als
auch mediendidaktisch und medientechnisch kompetent sind. Diese Doppelqualifikationen
erfüllen zur Zeit nur ganz wenige Menschen.
Die drei präsentierten
Lern- und Arbeitsumgebungen auf dem Bildungsserver blikk (und weitere)
sind auf einem guten Weg, diese Forderungen zu erfüllen. Lehrerinnen und
Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler finden in diesen Medien verantwortete,
hypermedial aufbereitete und gestaltete Informationsangebote und können
mit ihnen eigenverantwortlich ihren individuellen Lernweg konstruieren
und sich auch auf intersubjektive Wissensbildungen verständigen.
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