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Allgemeinbildung in einer globalisierten Welt

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Der Vortrag

"Bildungsserver als verantworteter Raum
für selbstorganisiertes Lernen im Unterricht und zu Hause"

(gehalten von Willi van Lück auf der Tagung "Schule im Bannkreis neuer Medien.
Wo bleibt die humanistische Bildung?" in Graz im Oktober 2002)

geht in den ersten Thesen auf ein "Allgemeinbildungskonzept in einer globalisierten Welt" ein. Im weiteren werden diese Thesen auch an der Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe" konkretisiert.

 

1. "Schule im Bannkreis neuer Medien. Wo bleibt die humanistische Bildung?"

These 1: Die humanistische Bildungsphilosophie einerseits und fernöstliche wie materialistische Philosophien andererseits stoßen im "globalen Dorf" aufeinander. Es gibt nicht mehr nur die eine "humanistische" Wahrheit.

Platon schuf, mit seiner Verdoppelung der Wirklichkeit in eine reale und eine dahinter liegende Ideenwelt, in den meisten europäischen Ländern sowie im Christentum die philosophische Grundlage, auf der auch die humanistische Bildungstradition gründet. Ganz andere philosophisch-religiöse Grundlegungen, die keine Verdopplung der Wirklichkeit vornehmen, liefern die meisten östlichen und materialistisch-orientierten Philosophien. Diese beiden grundlegend verschiedenen Weltsichten und Wahrheiten stoßen heute in der globalisierten Welt sowie im Internet immer wieder hart aufeinander.

Auch mit neueren konstruktivistischen Erkenntnistheorien darf man formulieren, dass jeder Mensch sich seine eigene Wirklichkeit und Wahrheit konstruiert, die aber intersubjektiv Gültigkeit erlangen kann und zwar über hinreichend viele Verständigungsprozesse.

"Das erkennende Wesen verfügt nur dann über Wissen, wenn es dieses über eigene Operationen im kognitiven Apparat selbst hergestellt hat. Wissen als Resultat eines Erkenntnisprozesses ist demnach nicht ein Abbilden im Sinne eines Entdeckens der äußeren Wirklichkeit, sondern eher ein Erfinden von Wirklichkeit", so Ernst von Glasersfeld (1997) einer der Väter des Konstruktivismus.

Und noch ein Zitat aus dem quasi-politischen Raum in "Die ZEIT" vom 26.9.2002: "Noch etwas verbindet die sonst so ungleichen Partner: Amerikaner wie Saudis wachsen mit der Gewissheit auf, im besten aller Systeme zu leben. Und beide Länder legen einen missionarischen Eifer an den Tag, den Rest der Welt von ihrer Lebensweise zu überzeugen. Während die Amerikaner den Kapitalismus angelsächsischer Prägung in den letzen Winkel der Erde tragen, investieren die Saudis Millionenbeträge, um andere Muslime mit dem "wahren Islam" zu erleuchten." So Albrecht Metzger in seinem Beitrag: Das Land der reinen Lehre.

Ich frage mich nach dieser Eingangsthese natürlich, wie und ob sich das humanistische Bildungsideal evolvieren kann. An dieser Stelle dazu in aller Kürze zwei weitere Thesen.

These 2: Interkulturelle Verständigung ist der notwendige (nicht aber hinreichende) Lern-Prozess dafür, dass die unterschiedlichen Wahrheiten sich gegenseitig tolerieren können.

Interkulturelle Verständigung setzt mündliche und schriftliche, direkte und technisierte sowie verbale und nonverbale Kommunikation voraus. Kommunikation organisiert zwischen Menschen eine Verständigung, die mit der Konstruktion von etwa gleichen Vorstellungen enden kann. Damit wird nicht gesagt, dass die Vorstellung des Anderen übernommen werden muss. Kommunikation sorgt aber dafür, dass sie verstanden wird, dass sie also in das eigene, bereits vorhandene Wissensnetz eingeordnet werden kann.

These 3: Verantwortung ist ein über-kulturelles Prinzip, das nicht nur partikular in Wahrheit genommen werden darf. Es muss sowohl in der gesellschaftlichen und natürlichen als auch in der informatischen Umwelt der Menschen wirksam werden.

Verantwortung wird in allen Kulturen wahrgenommen. Überall spricht man von Verantwortung und von responsibility. Die Wahrnehmung von Verantwortung bleibt aber partikular in einer Kultur isoliert, wenn nicht gelernt wird, dass die unterschiedlichen Wahrheiten geistig toleriert werden müssen. Gesetzt also den Fall, die Menschen wollen miteinander in Frieden auf der Erde leben - und das ist sicher ein Anliegen der großen Mehrheit - dann müssen alle Menschen lernen, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die unterschiedlichen Wahrheiten nicht mit Waffen ein-geschossen werden.

Nun einige Meta-Anmerkungen zur Präsentation von Lern- und Arbeitsumgebungen Zunächst werde ich parallel zu fünf weiteren akzentuierten Thesen zur Schulentwicklung, die Lern- und Arbeitsumgebung "Schule gestalten" präsentieren.
Auf diese Weise erhält mein Referat zwei Ebenen: eine Sach-Ebene mit Argumentationen zur Schulentwicklung und eine Ebene medialer Präsentationen.
Diese Parallelführung ist deshalb möglich, weil sich die Lern- und Arbeitsumgebung SCHULE GESTALTEN mit ihren Inhalten an Lehrerinnen und Lehrer aller Schulstufen und aller Fächer richtet, die sich kritisch mit schulischen Problemlagen, ihrem eigenen Unterricht und mit dem Lernen auseinander setzen wollen, um so u.a. aktiv Prozesse der Schulentwicklung an ihrer Schule zu fordern und zu fördern.
Im weiteren präsentiere ich die Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe", mit der ich dann zeigen möchte, wie die zuvor allgemein beschriebenen pädagogischen Anforderungen an eine "Schule der Zukunft" im Fach Mathematik eingelöst werden können und sollen. Die präsentierten Hypermedien liegen alle auf dem Bildungsserver blikk des Landes Südtirol.

2. Herausforderungen an eine "Zukunft der Bildung"

These 4: Gesellschaft sowie Technik und Medien befinden sich in einem schnellen Wandel und stellen für eine "Zukunft der Bildung" Herausforderungen dar. Provokativ frage ich: Geraten in naher Zukunft nachbiologische Lebewesen mit Menschen in Konkurrenz oder Kooperation?

Die Informations- und Kommunikationstechnologien inclusive der Künstlichen Intelligenz sowie die Gen- und Biotechnologien gehören schon heute zum Alltag mindestens all der Menschen, die in den sogenannten Industrieländern leben. Diese Technologien konstituieren eine informationelle Umwelt für die Menschen. Sie tritt heute gleichgewichtig und gleichmächtig neben eine natürliche und gesellschaftliche Umwelt des Menschen, wiewohl sich alle drei genannten Umwelten durchdringen und überschneiden.

Technisch neuronale Systeme, die nicht mehr programmiert sondern trainiert werden, zusammen mit den Gen- und Biotechnologien (letztere sind im weitesten Sinne ebenfalls Informationstechnologien) sowie den Neuen Medien prägen und strukturieren nachhaltig die Wahrnehmungen, Erfahrungen und Handlungen der Menschen (und wohl auch die Handlungen nachbiologischer Lebewesen). Sie beeinflussen sowohl gesellschaftliche Lernprozesse als auch persönliche Lebensgestaltungen und Wirklichkeits- oder Wissenskonstruktionen.

Werfen wir zum besseren Verständnis der letzten Aussage einmal einen kurzen Blick auf "Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen" und "Roboter und Cyber-Menschen". In dieser Darstellung gewinnen wir einen Eindruck von dem Stand der Technik und Wissenschaft, der auch mit Visionen von der Zukunft verknüpft ist.

3. Überdachte Ziele für eine "Schule der Zukunft"

These 5: Die Ziele für eine zukünftige Bildung als auch für eine "Schule der Zukunft" sind zu über-denken, zu erweitern sowie weltweit zu reflektieren. Sie müssen aus einem Vordenken in die Zukunft heraus begründet werden.

Hierzu drei Anstöße: (1) Weiterhin sind grundlegende Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen aufzubauen. (2) Aber auch neue Kompetenzen sind aufzunehmen wie z. B. Modellierungskompetenzen und erweiterte Schreib- und Lesekompetenzen. (3) Neben alten sind auch neue Schlüsselqualifikationen, wie "weltweit kommunizieren, sich verständigen und kooperieren können" zu vermitteln. Weitere Anstöße können selbstorganisiert aus dem Medium "Schule gestalten" gewonnen werden.

4. Qualitativ nachhaltige Lernprozesse

These 6: Alleine schon die gewaltig zunehmende Komplexität aller humanen Umwelten zwingt dazu, dass die Qualität des Lernens - auch mittels Neuer Medien - gesteigert werden muss.

Die Informationsmenge wächst exponentiell, nicht aber das verfügbare Wissen. Und die Komplexität aller Sachverhalte, Verhältnisse und Beziehungen nimmt überlinear und zeit-beschleunigt zu. ...

Globale Wirtschaftsräume und international angelegte Informations- und Kommunikationsnetze sowie weltweit die medialen Präsentationen von erheblich unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebensbedingungen, verlangen nach einem kultur-übergreifenden Wertekonsens aber auch nach einem Ausgleich der existenziell bedrohlichen Unterschiede in den Lebensbedingungen. ...

Wir Menschen produzieren "Schlüsselprobleme" am laufenden Band. Doch wer, wenn nicht wir Menschen, soll sie lösen? Und dazu ist eine Qualitätssteigerung des Lernens unabdingbar, wenn wir nicht auf nachbiologische Lebewesen warten wollen.

These 7: Eine Qualitätssteigerung und Nachhaltigkeit des Lernens ist möglich, wenn nicht so sehr das Lehren, sondern - immer wieder und immer mehr - das selbstorganisierte, konstruktive Lernen der Menschen in den Mittelpunkt gerückt wird.

Individuelles Lernen geschieht durch Interpretieren und Bewerten der im zentralen Nervensystem (ZNS) eingehenden Signale auf der Basis des bereits vorher Gelernten, also auf der Grundlage derjenigen Wissensnetze, die sowohl in der Evolution der Art als auch im Leben des lernenden Einzelindividuum bereits konstruiert worden sind. Interpretieren und Bewerten sind gewissermaßen ein Sprechen (eine Kommunikation) mit sich selbst, durch das Wissensnetze konstruiert werden. Wissen ist also immer in individuellen Gehirnen konstituiert und kontextualisiert. Wissen ist daher also immer nur verteilt (auf viele Gehirne) vorhanden.

Gesellschaftliches Lernen zwischen einzelnen Personen (Individuen) geschieht durch kommunikative Kopplungen: Direkte Kopplungen in "face to face" Gesprächen oder indirekte Kopplungen über Wissens-Darstellungen in den Medien.

Kommunizieren also Schülerinnen und Schüler im Unterricht oder in einer hypermedialen Lern- und Arbeitsumgebung miteinander ihr jeweils individuelles Wissen, so wird aus dem individuellen (also aus dem verteilten) Wissen in einem aufwendigen Prozess der Verständigung intersubjektives Wissen. Wissenschaftliche Ergebnisse aus der Hirnforschung belegen diese Aussage.

5. Lernen mit beispielhaften Neuen Medien

These 8: Beispielhafte Neue Medien koppeln das operational geschlossene und selbstreferenzielle Gehirn eines Menschen mit dem Medium in der Weise, dass die konstruktiven Prozesse im Gehirn (wie Denken, Erkennen, Lernen und Verständigen) sowohl angeleitet als auch unterstützt werden. Und: Sie realisieren über-dachte Ziele für eine zukünftige Bildung und eine Schule der Zukunft.

Nach Hartmut von Hentig (Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben, Beltz 2002) "treibt der Computer die Schule zu den alten Fehlern zurück und zieht sie ein weiteres Stück von der pädagogischen Aufgabe fort. Computer gehören für ihn nicht zu den Basics, so wenig wie das Essen.

Clifford Stoll äußert sich (LogOut, Fischer, 2001) ketzerisch: "Ein Internetanschluss ist die beste Garantie, zum Trottel zu werden ... Der Computer hindert Kinder daran, ihre sozialen Fähigkeiten zu entwickeln. Er lässt sie Erfahrungen mit der virtuellen Welt machen, bevor sie die reale Welt richtig kennen gelernt haben. Er fördert die geistige Trägheit und Unselbstständigkeit und macht aus den Lehrern Anhängsel des Multimedia-Bildschirms".

Joseph Weizenbaum fordert immer wieder und schon lange, dass die Kinder zunächst richtig lesen und schreiben lernen sollen, dann habe er auch nichts gegen den Computer. Aber er sagt auch: "Ich denke wirklich, es wurde mit der Versorgung der Schulen mit Computern eine Katastrophe eingeleitet. Unter anderem haben die Schulbehörden und die Politiker nicht die geringste Idee, wie teuer das alles ist." (learn:line - Gespräch mit Professor Weizenbaum vom 3. bis 5. Juni 2002)

Es gibt eine Reihe von guten Gründen, den Computer-Kritikern zuzustimmen. Einmal sind es z.B. die weit verbreiteten "Drill and Kill" Lernprogramme", die sich häufig sogar als Expertensysteme ausgeben. Zum anderen sind es die wirklich allermeisten Entwicklungen unter dem Namen E-Learning im Internet. Sie bieten in der Regel nichts anderes als das an, was jetzt schon ohne Medien ungenügend ist, zum Beispiel die "alte Mathematik in neuen Schläuchen". Hierzu drei weitere Beispiele:

Dpa: Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) hat am 4.September den Startschuss für das bundesweite Polit-projekt "abitur-online.nrw" gegeben. Der Tippfehler - der sicher nicht gewollt ist, der aber für sich spricht - veranlasst nachzusehen. Und siehe da, es wird u.a. für motivierte Erwachsene die alte Drill-Mathematik angeboten.

Dies geschieht übrigens auch in dem österreichischen Angebot "mathe online". Das Medium sagt von sich selbst: "mathe online bietet ein überaus reichhaltiges Angebot zum Selbstlernen für Erwachsene und moderne Konzepte durch multimediale und interaktive Techniken. mathe online will weniger eine "neue Mathematik", sondern vielmehr die traditionellen Lernziele des Faches, unterstützt von neuen Methoden vermitteln."

Ein weiteres Beispiel ist das neue Lernportal "Learnunited.com" des Medienriesen Holtzbrink. Schulbetreiber in den USA hofften, dass der Unterricht übers Netz Geld spart, da keine Gebäude mehr gebraucht werden. (FR vom 27.12.01). Sieht man sich aber bei "Learnunited.com" um, so findet man mehr von dem immer schon Gehabten. Und auch der neunköpfige Beirat bringt nicht das versprochene Niveau.

Nebenbei bemerkt: In der biologischen Evolution emergieren bei hoher Komplexität in quälender Langsamkeit neue Qualitäten. Die hohe Komplexität des Internets wird jedoch keine beispielhaften E-Learning-Materialien emergieren. Noch ist dazu die zeitaufwändige und kreative Denk- und Gestaltungsarbeit des Menschen notwendig. Bildungsserver stehen in der Gefahr zu einer reinen Informationsplattform zu verkommen. Die meisten sind es bereits. Was ist z.B. von Bildungsservern zu halten, die zum fünften mal Nachrichten anbieten, die an anderen Orten besser zu finden sind? Oder Bücher und Erlasstexte zum Herunterladen anbieten? Bildungsserver dieser Art dienen alleine der Selbstdarstellung oder provokativer formuliert der Selbstbefriedigung.

Die zuvor genannten Arten von E-Learning Angeboten enthalten zwar auch positiv zu bewertende Ideen, sie müssen aber deshalb so kritisch betrachtet werden, weil sie alte Bildungsziele und "mehrfach überlernte Unterrichtsskripte" (Baumert) sowie nur alte Bildungsinhalte durch Wiederholung verfestigen und damit wahr machen, dass sich Schulen langsamer entwickeln als Kirchen. Daher skizziere ich nun die Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe". Mit der ich am Fallbeispiel Mathematik zeigen möchte, dass es auch anders geht.

6. Lernen mit der Lern- und Arbeitsumgebung "Modellieren mit Mathe"

Die allgemein und fachdidaktische Grundlage für diese Lern- und Arbeitsumgebung fußt auf Hans Werner Heymann "Mathematik und Allgemeinbildung", Weinheim 1996.

In der Mathematik-Didaktik sollte es heute nicht mehr um die kontroversen Streitfragen gehen zwischen Platonisten und Realisten (also der reinen und angewandten Mathematik) oder zwischen Logizisten und Formalisten auf der einen und den Intuitionisten auf der anderen Seite. Diese Streitfragen sind heute obsolet geworden. Alle genannten didaktischen Konzeptionen müssen als Und-Beziehung im Mathematikunterricht verwirklicht werden. Und: Zusätzlich müssen auch noch die an einer "Schule der Zukunft" orientierten Zielvorstellungen realisiert werden.

These 9: Befunde zum Fach Mathematik: Deutsche Schülerinnen und Schüler "hassen" in der Mehrheit das Fach. Sie sind lediglich relativ geübt im Lösen von Routineaufgaben, haben jedoch häufig Schwierigkeiten, komplexe mathematische Probleme zu durchdringen und ihr Wissen flexibel auf neue Situationen anzuwenden.

"Mathematik habe ich auch nicht gekonnt", sagt der Vater zur Tochter, um sie in ihrem Frust mit der Mathe zu trösten. "Warum muss ich Bruchterme addieren oder gar differenzieren können?, so fragen Schülerinnen und Schüler ihren lehrenden Mathematiker. Zwei Fragen, die ein und dieselbe Problemlage beim Mathe-Lernen in der Schule signalisieren.

"Die Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern", so zu lesen im DFG - Schwerpunktprogramm "Die Bildungsqualität von Schule", "liegen also genau in den Bereichen, die im Zuge der fortschreitenden Spezialisierung und einer immer kürzer werdenden Halbwertszeit des Wissens zunehmend wichtig werden."

Mit der neuen Unterrichtskultur von Modellieren, Systematisieren und Anwenden in der Lern- und Arbeitsumgebung soll an der Behebung dieser Schwierigkeiten gearbeitet werden können. Mehr noch: Es sollen weitere zuvor genannte, zukunftsorientierte Ziele, etwa: "(weltweit) kommunizieren, sich verständigen und kooperieren lernen", erreichbar werden.

These 10: "Modellieren mit Mathe" vertritt einen didaktischen Ansatz, der sich mit realen Problemen aus neun Wirklichkeitsbereichen an den Interessen der Lernenden orientiert, die Probleme mathematisch modelliert, das "selbsterfundene" Modell systematisiert und das formalisierte System wieder anwendet. Mit "Modellieren mit Mathe" wird außerdem ein selbst organisiertes Lernen herausgefordert und gefördert.

Diese These möchte ich an einem Projekt skizzieren, dass etwa 20 -25 Unterrichtstunden umfasst. Das Projekt kann in den nächsten Wochen auf blikk verfolgt werden.

Stellen Sie sich vor, sie unterrichten in einer 9. Klasse und sie nutzen zum ersten Mal das Leitmedium "Modellieren mit Mathe" in ihrem Unterricht. Dann könnte der Einstieg für die Schülerinnen und Schüler etwa so lauten: Liebe Schülerinnen und Schüler, wir wollen in den nächsten Wochen den Mathe-Unterricht einmal anders durchführen und wollen zusammen einen neuen Weg gehen. Stöbert bitte einmal im Medium in den realen Problemen, die ich euch jetzt zeige:

Entscheidet euch nach dem Stöbern individuell für ein Problem, das ihr bearbeiten wollt und das am ehesten euren Interessen entspricht.

Auf dieser Entscheidungsgrundlage bilden wir dann thematisch orientierte Partner- oder Kleingruppen. Am Ende eurer arbeitsteiligen Gruppenarbeit soll dann eure mathematisch modellierte Problemlösung stehen, die wir dann sowohl auf dem Forum der Lern- und Arbeitsumgebung als auch am Schwarzen Brett in unserem Klassenraum ausstellen werden.

Zeitgleich mit euch werden an zehn anderen Orten Schülerinnen und Schüler in derselben Weise arbeiten. Auch sie werden ihre Arbeitsergebnisse im Medium ausstellen. Gegenseitig lesen wir dann nach der Ausstellung aller Arbeiten die Lösungsvorschläge und kommunizieren darüber auf dem Forum. Es kann gut sein, dass die anderen Kleingruppen, die am selben realen Problem gearbeitet haben, sich anderen Problem-Fragen zugewandt haben. Dann ergänzen sich die Veröffentlichungen. Eine kommunikative Verständigung unter den beteiligten Schülerinnen und Schülern wäre dann ein erster kooperativer Schritt, durch den das Gesamte zu mehr werden könnte, als die Summe der Teile.

Ihr stellt eure Gruppen-Ergebnisse aber auch in der Klasse vor. Dann werden wir uns in der Klasse darüber unterhalten, wir werden die Lösungen miteinander vergleichen und abstrahieren, was an euren Ergebnissen das Gemeinsame ist und wie man das Gemeinsame strukturieren, formalisieren und wieder anwenden kann. Wir wollen die Mathematik als Meta-Wissenschaft entstehen lassen.

Reflexionen

--> Zur Unterrichtskultur

In der Modellierungsphase wird eine Binnendifferenzierung nach Neigung und Interessen angestrebt. Die Arbeit in der Kleingruppe wird von der Gruppe selbst bestimmt. Sie soll eigenständig und selbstverantwortet ablaufen. Die Gruppe entscheidet auch, welcher Frage sie konkret nachgehen will und auch darüber, wie sie die Modellierung vornehmen will. Dabei erhält sie Hilfen zur Sache und zur mathematischen Modellierung durch das Medium ( ../ma0320.htm).

In der Systematisierungsphase hat zunächst die Lehrperson das Wort und auch die "Fäden in der Hand"! Das heißt aber nicht, das dies in der ganzen Phase so sein muss. Auch in dieser Phase gibt es viele Gelegenheiten für ein selbstorganisiertes und eigenverantwortetes Anwenden.

--> Zu den Zielüberlegungen

  • Welche Ziele werden in den beiden Phasen mit Schwerpunkt vorfolgt?
  • Was ist in einem Unterricht zu tun, in dem an den durch die PISA Studien offen gelegten Defiziten gearbeitet werden soll?
  • Welche Ziele sind im Zuge der fortschreitenden Spezialisierung und der immer kürzer werdenden Halbwertszeit des Wissens zunehmend wichtig? (u.a.: selbständig und eigenaktiv arbeiten, sich selbst Hilfen organisieren können, vernünftig kommunizieren und kooperieren können, ....) ...

--> Zur Bewertung der Leistung

Sehr wichtig ist es, dass die im Unterricht verfolgten Ziele den Schülerinnen und Schülern offen gelegt werden. Es sollte auch gesagt werden, dass genau diese Ziele überprüft werden und so eine individuelle Leistungsbewertung stattfindet. Am Ende der Modellierungsphase gibt es keine Klassenarbeit. Bewertet werden (a) auf der Grundlage eines Beobachtungsbogens die vereinbarten Ziele, (b) das auf dem Forum ausgestellte Produkt sowie (c) ein zu führendes Lerntagebuch. Beim Produkt kommt es darauf an, (a) dass die individuell in der Kleingruppe gewählte Detailfrage zum realen Problem ausgeführt wird, (b) die grafische und textliche Modellierung sauber ausgeführt sind und (c) das Modellierungsergebnis interpretiert wird.

--> Zum Werkzeugeinsatz

In der Modellierungsphase bieten sich die Werkzeuge Excel ( ../ma/1905), Dynasys und GrafStat an, je nachdem für welche Teilfrage sich die Schülerinnen und Schüler entschieden haben. Excel (und Dynasys sind) ist sehr gut geeignet, um Fragen von "Was wäre, wenn ..." nachzugehen.

In der Systematisierungsphase sollte Derive ( ../ma1950.htm) genutzt werden. Mit Derive sind Parameterdiskussionen möglich. Mit Derive entsteht eine Grafenschar, die für weitere Anwendungen, also zum Einüben des Transfer (Flexibilisierung) des Gelernten, sehr wichtig ist. Um z.B. für einen konkreten Fall eine konkrete Funktion zu finden, muss man viele Grafenverläufe kennen, um den richtigen Parameteransatz zu finden.

--> Zum Recherchieren im Internet gibt es bei allen realen Problemen "kommentierte Links" ins Internet.

8. Resümierende Schlusssätze

Bildungsserver sollten von der Bildungspolitik und den Bildungsinstituten als verantwortete Räume für selbstorganisiertes Lernen in Unterricht und Zuhause eingerichtet werden.

Dazu sind (a) an den Zielen einer "Schule der Zukunft" und (b) an den neuen Lerntheorien orientierte hypermediale Lern- und Arbeitsumgebungen (mit und mit für alle Fächer und Klassen) zu gestalten, die regelmäßig betreut und gepflegt werden (ggf. durch Lehrpersonen on demand). Die Verlage werden dies auf Dauer nur dann übernehmen, wenn sie damit Geld verdienen können.

Die Bildungspolitik und die Bildungsinstitutionen sollten für diese Entwicklungen die Voraussetzungen schaffen, dass nicht nur "alter Wein in neuen Schläuchen" gereicht wird. Denn für die Gestaltung von beispielhaften Lern- und Arbeitsumgebungen werden Personen gebraucht, die sowohl allgemein- und fachdidaktisch als auch mediendidaktisch und medientechnisch kompetent sind. Diese Doppelqualifikationen erfüllen zur Zeit nur ganz wenige Menschen.

Die drei präsentierten Lern- und Arbeitsumgebungen auf dem Bildungsserver blikk (und weitere) sind auf einem guten Weg, diese Forderungen zu erfüllen. Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler finden in diesen Medien verantwortete, hypermedial aufbereitete und gestaltete Informationsangebote und können mit ihnen eigenverantwortlich ihren individuellen Lernweg konstruieren und sich auch auf intersubjektive Wissensbildungen verständigen.

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