Siehe
auch
Pädagogische
Grundsätze
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Betrachtet man die
abendländische Geschichte, so hatte
das Lesenlernen meist Vorrang gegenüber dem Schreibenlernen, weil
es wichtig war, überlieferte Texte zu entschlüsseln und das
Schreiben sich auf die Technik des Aufschreibens (Berufsstand des Schreibers)
reduzierte.
Kinder, die vor der
Schule Schriftsprache erwerben, tun dies aber eher schreibend als lesend,
da das Handeln mit Schrift als Ziel angestrebt wird. Beim handelnden
Schriftsprachgebrauch greifen Lesen und Schreiben ineinander und
unterstützen sich gegenseitig. Das eine kontrolliert das andere,
und Sprachhandeln wird nicht in Teilbereiche unterteilt, die von den Kindern
ohne Einsicht in Zusammenhänge nicht sinnvoll eingeordnet und genutzt
werden können.
MONTESSORI beschreibt
als größtes Ereignis des Kinderhauses, "..dass die Kinder
plötzlich zu schreiben begannen". Sie nennt es ein "Aufbrechen
des Schreibvermögens". Bücher, die den Kindern,
die ungefähr vier Jahre alt waren, zur Verfügung gestellt wurden,
nahmen sie nicht an. Zu sehr fesselte die Kinder die Beschäftigung
mit Schrift. Sie wollten nicht einmal Handgeschriebenes lesen.
"Erst
etwa sechs Monate später begannen sie zu begreifen, was Lesen
bedeutete, und auch dann nur in Verbindung mit dem Schreiben"
(MONTESSORI 1987, S.138). |
Die Kinder mussten
die Möglichkeit haben, den Schreibvorgang zu beobachten, um sich
die Vorstellung anzueignen, dass so Gedanken ausgedrückt werden können,
ganz so als ob man sie ausspräche.
Als
ihnen dies klargeworden war, begannen sie kleine Befehle zu erlesen, wobei
sie die geschriebene Sprache offenbar als andere Form der gesprochenen
Sprache von Person zu Person auffassten. Die Kinder begannen alles Gedruckte,
das sie in der Schule finden konnten, zu lesen. Ihr Interesse lag jedoch
im Entziffern der Schriftzeichen und nicht
der Worte, der Forscherdrang der Kinder war
geweckt.
Hätte man den
Kindern die Druckbuchstaben mit zu großer Eile geboten, oder hätte
man auf das Üben des Lesens von Wörtern in Büchern bestanden,
hätte dies eine "negative Hilfe"
(MONTESSORI 1987) bedeutet und die Energie der Kinder gemindert. Gerade
dies geschieht oft, wenn die Kinder das Lesen und Schreiben anhand einer
Fibel erlernen müssen.
Das
In-Beziehung-treten zu Büchern vollzog sich erst, als ein
Kind entdeckte, dass auf einem Blatt Papier eine Geschichte verborgen
sein kann. Damit begriffen die Kinder die Bedeutung von Büchern.
Diese Erkenntnis haben Kinder, die sofort mit freien Texten arbeiten,
sehr früh. MONTESSORI berichtet hier von Kindern im Vorschulalter
und zeigt dabei gleichzeitig die Voraussetzungen
auf, die gegeben sein müssen, um dem Kind den Zugang
zum Lesen zu ermöglichen. Oft findet man Schulanfänger,
denen wesentliche Voraussetzungen fehlen, die nun erst in individualisierender
Form nachgeholt werden müssen.
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