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Das Paradigma der "Selbstorganisation"
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Der Begriff "Selbstorganisation" ist in der System- oder Chaostheorie definiert. Nutzt man also im Bereich der Schulentwicklung diesen Begriff als wissenschaftliches Paradigma, so sollte man unbedingt die grundlegen Begriffe, also die "Sprache" der "Theorien des Komplexen" kennen. Der Begriff der "Autonomie" stammt wohl grundlegend aus den Sozial-, Gesellschafts- und Rechtswissenschaften. Er hat also eine ganz andere Herkunft als der Begriff "Selbstorganisation".
     


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Schulen können als hochkomplexe, soziale Systeme modelliert werden. Wie lässt sich dann mit den Begriffen der Chaostheorie verständlich machen,

- dass sich Schulen (vorhersagbar) entwickeln können und

- dass Schulen trotz der hohen Vielfalt an Wechselwirkungen in der Regel hoch-konservative Systeme sind?

Welche Randbedingungen sind für die Entwicklung des Systems Schule förderlich und welche nicht?

 

Selbstorganisation ist eine Eigenschaft komplexer Systeme

Hier können und sollen nur in aller Kürze und Dichte einige Erklärungen gegeben werden. Auf den weiterführenden Lesestoff wird daher ausdrücklich verwiesen.

Alle Systeme bestehen aus Elementen, die aufeinander einwirken und rückwirken. Man spricht daher von Wechselwirkungen, die nicht nur in eine Richtung wirken, wie etwa die Kausalität. Alle Systeme verändern sich in der Zeit. Sie sind dynamisch und zeigen ein System-Verhalten, das innerhalb kleiner Fehlergrenzen zeitlich vorhersagbar, also determiniert ist. Mit dem stochastischen (man kann auch sagen: chaotischem) Verhalten von Systemen, beschäftigt sich die Chaostheorie. So gesehen ist die Chaostheorie also ein Spezialfall der Systemtheorie. Chaosforschung richtet das Augenmerk auf versteckte Ordnungen sowie auf "Empfindlichkeiten" und "Regeln" in Systemen. Chaosforschung erklärt, wie sich Systeme selbst organisieren können und wie auf diese Weise neue Qualitäten emergieren (sich entwickeln), die bis dahin nicht existierten.

     

Schulen können als hochkomplexes, soziales und lernfähiges System begriffen werden

 

Unternehmen, Firmen, Fabriken, Vereine, Verlage, Institute, Kirchen, Verwaltungen, Krankenhäuser und auch Schulen können als komplexe soziale Systeme begriffen (modelliert) werden. Schulen sind in Deutschland Anstalten des öffentlichen Rechts, die bestimmte Aufgaben unter staatlicher Aufsicht erfüllen.
Schulen sind (systemtheoretisch modelliert) hoch-komplexe Systeme in der Gesellschaft (von Politik, Wissenschaften, Kirchen, Wirtschaft, Verbänden und Vereinen), in denen
relativ eigenständige Untersysteme wie Lehrerschaft, Schulleitung, Schülerschaft, Elternschaft, Schulaufsicht und Schulverwaltung aufeinander einwirken. In jedem dieser Untersysteme wirken wiederum Personen (mit je individuellen Gehirnen) auf- und miteinander und zwar mit ihren jeweils zuvor gelernten spezifischen Grundeinstellungen und Werthaltungen z.B. von Bildung, Leistung, Erziehung und Lernen.

     
Selbstorganisation
und spontane Emergenz
in menschlichen Gehirnen
 

Auch das menschliche Gehirn ist ein hochkomplexes dynamisches System mit nichtlinearen Wechselwirkungen zwischen seinen neuronalen Bestandteilen. Spontane Emergenz von kognitiven und emotionalen Leistungen (z.B. von Intuitionen, neuen Ideen und Empathie) kann modellhaft auf dieselbe Weise erklärt werden, wie die Emergenz physikalischer, chemischer und biologischer Strukturen, wenn auch auf einer höheren Entwicklungsstufe. In jedem Fall sind Vorstellungs"bilder" oder Denk"figuren" oder "Zu-Neigungen" Konstruktionen des Gehirns auf dem Hintergrund erfahrungsbezogenen Vorwissens und des in der Evolution Gelernten.

Bio- und ander Naturwissenschaftler zerstören das vertraute, religiös-philosophisch geprägte Bild, das die meisten Menschen noch vom Geist des Menschen haben, so Damasio. "Ich bin der Ansicht, dass ein Organismus dann Geist besitzt, wenn er neuronale Repräsentationen bildet, die zu Vorstellungsbildern werden, sich in einem Prozess, den wir Denken nennen, manipulieren lassen und schließlich das Verhalten beeinflussen, denn man kann mit ihrer Hilfe die Zukunft vorhersagen, entsprechend planen und die nächste Handlung bestimmen."
"Die Veränderung der Lebenswelt durch Technik vollzieht sich in vielen Bereichen unbegriffen und begriffslos. So bilden sich etwa um Computer und Medien, aber auch um Biowissenschaften und Medizin neue Mythen, die zwischen Erlösungsphantasien und Dämonisierungsstrategien oszilieren. Alle Versuche, neue erkenntnis- und deutungsleitenden Begriffe zu formulieren, reagieren letztlich auf die fundamentale Frage: ob die Dynamik der technischen und sozialen Entwicklung weiterhin mit Hilfe der tradierten kulturtheoretischen und philosophischen Terminologie verstanden werden kann." (Spitzer)

     
Selbstorganisation und Autonomie:
eine interdisziplinäre Nutzung beider Paradigmen bei der Schulentwicklung
  Die Fülle von Wechselwirkungen und Rückkopplungen in Schulen ist so gewaltig, dass das System Schule (so wie das Wetter) vollständig chaotisch wäre, gäbe es z.B. keine akzeptierten Randbedingungen. Autonomiegesetze (oder Teilautonomie-Gesetze, oder Gesetze einer selbstständigen Schule), der state of the art von Didaktik und Rahmen-Lehrpläne beschreiben den Freiraum in einem staatlich festgelegten Rahmen innerhalb dessen pädagogische Innovationen anzuregen, geeignete Bildungsangebote zu schaffen, Bildungswege zusammenzuführen und ein professionelles Arbeiten zu ermöglichen sowie ein neues Verständnis von Schulaufsicht zu entwickeln ist.
     

Im nebenstehenden Text sind einige Begriffe, die dem Paradigma "Selbstorganisation" entstammen,
fett gedruckt.

 

Die Veränderungsbestrebungen und Vorhaben müssen gekoppelt werden an die neu überdachten Ziele und an das neu gedachte Lernen. Dazu ist es notwendig, dass Entwicklungsbereitschaft mit flexiblem und sich selbst reflektierendem Denken und Handeln gekoppelt sind und Eigenverantwortung für Innovationen übernommen werden.
Schulen müssen vor Ort durch Personalentwicklung und Organisationsentwicklung selbst die Voraussetzungen und die Fähigkeiten schaffen, kompetent mit den Handlungsspielräumen umgehen zu können. Im Haus des Lernens und des Zusammenlebens ist eine Erziehungskultur zu entwickeln, die integrierend und zusammenführend auf die Lerngemeinschaft zurückwirkt.

Selbstwirksamkeit erzeugt das notwendige Selbstvertrauen und macht die im System Schule wirkenden Menschen stark, in einer positiven Weise selbstbewusst und führt sie zu positivem Selbsterleben. ... Erfolgreiche schulische Arbeit hat immer mit Selbstgestaltung und Selbstverantwortung zu tun und somit mit der Aktivierung der eigenen Kräfte. In einer selbstwirksamen Schule gelingt es, zur Lösung der anfallenden Arbeiten eine Unterrichts- und Methodenkultur zu entfalten und eigene Potenziale zu mobilisieren und einzusetzen.

 

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2002